Cover: Beratung mit Hirn. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis von Supervision und Coaching. Wien: Facultas.
Wolfgang Knopf, Ingrid Walther

Beratung mit Hirn. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis von Supervision und Coaching. Wien: Facultas.

Rezension von Anne Haker

3 Min.

Das Buch verspricht eine abwechslungsreiche Sammlung von Artikeln verschiedenster Autoren mit aktuellen Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften und deren Bedeutung für Supervision und Coaching. Erklärtes Ziel der Herausgeber ist dabei auch die Förderung des internationalen Diskurses zum interdisziplinären Einfluss der Hirnforschung. In diesem Sinne kommen Autoren aus Deutschland, Österreich, Schweiz und den Niederlanden zu Wort. Auch wurde der einleitende Überblicksartikel von Jörg Baur ins Englische übersetzt.
Hierin fasst Baur eine Fülle wichtiger Erkenntnisse der Hirnforschung knapp und verständlich zusammen und stellt nachvollziehbare Bezüge zur Beratungspraxis her. So macht er neben vielfachen Hinweisen zu gehirngerechten Lernbedingungen und Grundlagenwissen wie der Hebb’schen Regel auch einem kurzen Ausflug zum Thema Willensfreiheit. Insbesondere für Einsteiger in die Neurowissenschaften wären grafische Darstellungen des Erklärten sehr hilfreich gewesen - leider finden sich im gesamten Band kaum Abbildungen.
Gefolgt wird dieser Übersichtsartikel von einem verschriftlichen Gespräch zwischen dem Neurobiologen Gerald Hüther und den Beratern Siegfried Tatschl und Ingrid Walther. Professor Hüther erklärt darin sein Bild vom Supervisor als Potenzialentfalter, der seinen Klienten dabei hilft, den eigenen Bedürfnissen und Sehnsüchten wieder näher zu kommen.
Ebenfalls in Gesprächsform folgt der Austausch zwischen Barbara Guwak und Claus Lamm zur Bedeutung von Emotionen und Intuition für die Supervisonsarbeit. Erfrischend und flüssig zu lesen finden sich viele relevante Anregungen für die Praxis, wobei die Autoren keine konkreten Tipps geben, sondern den Leser selbst Schlüsse aus den aufbereiteten Erkenntnissen ziehen lassen.
Hansuli Weber beschäftigt sich im anschließenden Artikel mit der Möglichkeit der Aufmerksamkeitsfokussierung durch Priming. Dabei liefert er konkrete Hinweise, wie Priming alltagstauglich eingesetzt werden kann.
Ebenfalls sehr praxisnah beschreiben Erika Bergner und Werner Vogelauer das Spannungsfeld im Coaching zwischen einer schnellen Erfassung der Situation des Kunden und langsamen, Geduld erfordernden Umsetzungsphase der Erkenntnisse aus dem Coaching im Alltag des Kunden. Hierzu stellen sie drei erprobte Methoden vor und untermauern ihr Vorgehen mit Ergebnissen der Hirnforschung.
Siegfried Tatschl überrascht mit einem langen Artikel zum "Augenblick" - eine umfassende Analyse der Bedeutung des Blickkontakts, bei der er Blickerfahrungen im Lebenslauf ebenso anspricht wie kulturell unterschiedliche Regeln, wer wen wie lange ansehen darf. Obwohl das Thema für die Supervisions- und Coaching-Praxis ohne Zweifel relevant ist, findet sich kein Bezug zum Thema des Buches - neurowissenschaftliche Erklärungen erwartet der Leser vergebens. Dies scheint der Auftakt zum zweiten Teil des Artikelbandes zu sein - denn auch die folgenden sechs Artikel stellen kaum bis gar keine Verbindungen zur Hirnforschung her.
Eine Ausnahme bildet der von Heinz Strauß verfasste Artikel zur Resonanz, bei dem er Bezug auf die Bedeutung der Spiegelneurone nimmt. Seine Erklärungen sind allerdings sehr komplex und werden wenig anschaulich-strukturiert dargestellt, so dass vor allem Neulinge im Bereich Neurowissenschaften schnell den Überblick verlieren.
Insgesamt wirkt der Versuch, auf den viel beachteten Zug der Neurowissenschaften aufzuspringen, teilweise sehr bemüht. Vor allem bei den späteren Kapiteln ist der Bezug zum Thema des Buches nur mit viel Phantasie erkennbar. Die durch Titel und Klappentext geweckten Erwartungen, einen verständlichen Überblick über neuste Erkenntnisse der Hirnforschung zu erlangen und in praxisrelevanten Hinweisen für Supervision und Coaching Anregungen für die Beratungsarbeit zu bekommen, können nicht erfüllt werden. Nimmt man jedoch von den verheißungsvollen Ankündigungen Abstand, bietet die Artikelsammlung eine vielseitige Zusammenstellung mit teilweise konkreten Tipps für die Praxis von Supervision und Coaching.

Anne Haker

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