Cover: Navigationsinstrumente für gelingende Beratung
Uwe Michalak

Rezension von Almut Siegert

4 Min.

Therapie, Coaching oder Beratung – all diese Formate haben eines gemeinsam: Diejenigen, die sie anbieten, müssen in einem sehr hohen Maße zu paralleler Informationsverarbeitung in der Lage sein. Was heißt das? Sie müssen gleichzeitig zuhören, das Gehörte in Realzeit verarbeiten, relevante Themen erkennen, die emotionale Beteiligung des Klienten wahrnehmen, Inhalts-, Bearbeitungs- und Beziehungsebenen in der Kommunikation differenziert betrachten, Hypothesen bilden, verändern oder wieder aufgeben, die eigene Haltung reflektieren und dabei das eigene Fach- und Weltwissen permanent auf die konkrete Situation hin befragen können. Die mentale Kompetenz, all dies (und noch mehr) während einer Coaching-Sitzung parallel zu leisten, ist zentral, um sinnvoll und hilfreich zu kommunizieren, erfolgreich und flexibel einen (Veränderungs-)Prozess zu gestalten und Klienten bei ihrer Selbstorganisation zu begleiten. Ohne diese übergeordnete Fähigkeit eines Coachs nützen die besten Tools meist wenig.

Coaches verfeinern ihr Können in dieser Hinsicht in der Praxis durch Erfahrung und Übung immer weiter – und ebenso durch die andauernde und bewusste Reflexion über die herausfordernde Aufgabe. Eine geeignete Lektüre ist dazu das Buch von Uwe Michalak. Er ist psychologischer Psychotherapeut, Supervisor, Coach und Paarberater in eigener Praxis. Zudem ist er im Westfälischen Institut für Systemische Therapie und Beratung Münster e.V. (WIST) geschäftsführender Vorstand. Er hat bereits die Bücher „Supervision reflektieren“ (2020) und „Werkstattbuch systemische Supervision“ (2022) mitverfasst. Mit dem vorliegenden Buch „Navigationsinstrumente für gelingende Beratung“ will Michalak Orientierung bieten „beim Segeln in den Gewässern sozialer Systeme“. Seine Leser und Leserinnen möchte er unterstützen, eigene Prozesse besser zu verstehen und ein eingeschliffenes Vorgehen im Sinne der Klienten liebevoll infrage zu stellen.


Der schmale Band (152 Seiten) ist in sieben Kapitel aufgeteilt: (1) Über den Nutzen von Differenzen und Spannungsbögen, (2) Beratungsjazz, (3) Hypothesen (des-)orientieren, (4) Welche Bedeutung haben Interventionen? (5) Das Hier und Jetzt zwischen dem Gestern und Morgen, (6) Körperreaktionen (über)sehen und (7) Schlüsselwörter in der Beratung. Die Kapitel sind gedanklich verbunden, jedes kann jedoch für sich gelesen werden, darauf weist der Autor explizit hin. 

Sehr originell ist das zweite Kapitel, für das Michalak das Kunstwort „Beratungsjazz“ geschaffen hat. Er fokussiert hier auf das Potenzial des Improvisierens im Coaching und geht den Fragen „Wie können professionelle Gespräche vom Jazz profitieren?“ und „Wie erlernen Beratende das Improvisieren?“ nach. Das Improvisieren begründe und signalisiere die Bereitschaft des Beraters, nützliche kommunikative Anschlüsse im Angesicht von Unerwartetem zu managen und im Hier und Jetzt zu verbleiben. „Eine Beratung beschreibt einen Prozess der Kooperation, in dessen Verlauf Unerwartetes auftaucht. Das Unerwartete zeugt davon, dass die Beratung produktiv vorankommt; es dementsprechend zu beachten und aufzugreifen, fordert die beratende Person und fördert die Kooperation in der Beratung“, schreibt Michalak (S. 8). Ihm gelingt es, Erkenntnisse über musikalische Improvisationen – man darf sich den Autor wohl als großen Jazz-Fan vorstellen – für das Coaching nutzbar zu machen.

Das Buch vermittelt in den sieben Kapiteln Meta-Wissen und regt zur Selbstreflexion über die eigenen Prozesse während einer Coaching-Sitzung an. Kritisch kann man anmerken, dass es sehr konzentriertes Lesen erfordert, um den passagenweise sehr abstrakten Überlegungen zu folgen. Und: Der Autor empfiehlt das Buch explizit auch Coaches am Berufsanfang. Wer daraus jedoch schließt, praktische Tipps für konkrete Herausforderungen zu erhalten, könnte enttäuscht sein. Die Stärke des Buches ist gleichzeitig seine Schwäche. Der Autor tritt zurück, um mit Abstand auf das Beratungsgeschehen zu schauen. Dieser Adlerblick schließt – ganz dem systemischen Denken verpflichtet – eben konkrete Handlungsempfehlungen oder „Tipps und Tricks“, wie es besser gehen könnte, aus. Wer das Wort „Impulse“ im Titel wortwörtlich nimmt, wird viel Gutes aus dem Buch ziehen können.

Fazit: Ein spannendes Lesebuch für Coaches, die Lust haben, Routinen und Vertrautes zu hinterfragen und sich aktiv mit ihrem Beratungshandeln auseinanderzusetzen.

Almut Siegert

www.almutsiegert.de

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