Die Herausgeberinnen sind Mitglieder der Münchner Forschungsgruppe LOCCS (The Linguistics of Coaching, Consulting and Supervision). Ihr Anspruch an den Herausgeberband ist, multidisziplinäre Perspektiven von Beratung, Coaching und Supervision vernetzt darzustellen. Die Reihe der von ihnen eingeladenen Aufsätze und Autorinnen unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven der Soziologie, der Wissenschaftstheorie, der Psychologie, der Erziehungswissenschaft und der Sprachwissenschaft sollen in den Gesamtzusammenhang einer möglichen "Vernetzung" gebracht werden. Die Herausgeberinnen sehen sich darin auf dem Weg "hin zu einer als Gesamtheit gedachten Beratungswissenschaft" (S. 9).
Die von zwei der Herausgeberinnen aus der LOCCS-Gruppe verantwortete "Hinführung" macht einen sprachwissenschaftlichen Fokus erwartbar: Ihre Perspektive ist "unerlässlich" für ein fundiertes Verständnis von Beratung" (S. 12). Für die Logik der Gliederung des Sammelbandes wird allerdings - außer dem Kurzschluss: Beratung ist sprachlich, also ist Sprachwissenschaft wichtig - nichts Erhellendes gefolgert. Andere, von den Herausgeberinnen in Anschlag genommene Unterscheidungen - "Formate von Beratung" oder die im Titel genannte Aufzählung "Beratung, Coaching, Supervision" - werden nicht erklärt.
Die Aufsätze von 16 Autorinnen und Autoren werden unter fünf Überschriften gebracht: "Theoretische Diskurse über Beratung, Professionalisierung von Beratung, Kommunikative Praktiken im Coaching, Modelle zur segmentierenden Analyse von Coaching, Metaphern in der Beratung und im Coaching". Wie und warum diese Überschriften gewählt wurden, ist dem Rezensenten nicht deutlich geworden. Die Auswahl der Beiträge vermittelt den Eindruck von Beliebigkeit. So erscheint der Beitrag von Beate Fietze zum Professionalisierungsprozess unter der ersten Überschrift "theoretische Diskurse" und nicht unter dem Haupttitel "Professionalisierung". Grundsätzliche wissenschaftstheoretische Bemerkungen von Siegfried Greif stehen unvermittelt neben einer Aufzählung von Wünschen einer vorgestellten Coaching-Praxis an die Forschung (Elke Berninger-Schäfer und Carmen Wolf). Gut ausgearbeitete Forschungsartikel von Cornelia Maier-Gutheit zur "Existenzgründerberatung" oder von Sabine Rettinger zur Herausbildung von "Handlungsidentität" im Coaching-Erstgespräch stehen neben einem Artikel zur Erforschung von Organisationsberatung, der auf Referenzen der vielfältigen angelsächsischen Forschung völlig verzichtet.
Im letzten Abschnitt, einem "Ausblick" wollen Ina Pick und Sabine Rettinger eine multidisziplinäre Vernetzung der den Artikeln unterlegten disziplinären Perspektiven versuchen. Vielleicht wird ja im Rückblick noch eine gute Geschichte daraus? Unter einem "Netz" verstehen die Autorinnen zunächst eine (grafische) "Form der Darstellung". Mit unterschiedlichen Farben und Strichen werden Zusammenhänge skizziert. Leider bleibt es aber bei der bloßen Behauptung. Eine inhaltliche Erklärung wird nicht geliefert. Netzmodelle aus der Semantik und der Kognitionstheorie scheinen kurz auf. So versuchen die Autorinnen zum Beispiel, "Knoten" zu bestimmen. Das Handwerkszeug dafür bleibt allerdings im Dunkeln - genau so wie ein Hinweis zum Verhältnis von Theorie und Sprache, das von den Autorinnen dafür zu Grunde gelegt wird.
Insgesamt können die Herausgeberinnen ihren zu Beginn gesetzten Anspruch nicht erfüllen. Der Rezensent ist betrübt darüber, wie die interessante Grundidee einer multidisziplinären Perspektive der Beratungsforschung zugunsten eines augenscheinlich schnell zusammen geflickten Sammelbandes zu Markte getragen wird. Immerhin lohnt die Lektüre der überwiegend respektablen Aufsätze zu aktuellen Ansätzen in Forschung und Wissenschaft im Kontext Beratung, Coaching und Supervision.
Dr. Michael Loebbert
Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch