Gerne benutzen Unternehmen die Figur der "Führungskraft als Coach". Diese wird aber in der Literatur recht kritisch diskutiert und man übertreibt sicher nicht, wenn man konstatiert, dass sie mehrheitlich abgelehnt wird. In der vorliegenden Arbeit - und ihr ist unschwer abzulesen, dass es sich bei ihr um eine wissenschaftliche Abschlussarbeit handelt - wurde untersucht, ob die Mitarbeiter eines Call-Centers einer deutschen Großbank das Coaching eines Vorgesetzten auch als das verstehen, was es im besten Sinne sein soll: Beratung und Förderung des Mitarbeiters. Und das, obwohl der Coach eben auch Vorgesetzter ist, der in erster Linie die Interessen seines Unternehmens zu vertreten hat.
Nachdem die Autorin das Feld der Personalentwicklung und das Konzept Coaching vorgestellt und seine Verbreitung im Unternehmen dargelegt hat - natürlich auch in Abgrenzung des Coaching von Therapie und Supervision - werden auch die Anforderungen (Kompetenzerwartungen) an den Coach und seine Rolle im Unternehmen beleuchtet. All dies basiert auf der Basis referierter Literatur, die überwiegend in den 90er Jahren erschienen ist; was insofern enttäuscht - weil es da durchaus noch wichtige aktuelle Literatur gegeben hätte, die zu berücksichtigen dienlich gewesen wäre. Der bilanzierte Stand der Forschung ist daher wenig spektakulär und bringt dem ein wenig Belesenen keinen auffälligen Erkenntnisgewinn.
In einem empirischen Teil (ab Kapitel 12) geht es darum, eine wissenschaftlich fundierte Aussage zu treffen, die die wesentlichen Erwartungen an den coachenden Vorgesetzten widerspiegeln. Dazu formuliert die Autorin sechs Hypothesen. Die Abteilung, in der die Untersuchung stattfindet, ist in vier Gruppen mit jeweils circa 22 Mitarbeitern aufgeteilt, weiterhin sind ständig Auszubildende in den Abteilungen tätig. Jede Gruppe wird von einem Leiter geführt, der zum "Coach" ausgebildet wurde. Die Ausbildung wurde von einem externen Trainer in einem Zeitraum von drei Tagen durchgeführt. Im Anschluss daran trafen sich die zukünftigen Coachs zwei Mal in der Woche zu einem internen Training. - Ob man einem solcherart Ausgebildeten die Funktion "Coach" zuerkennen sollte, wird von der Autorin mit keiner Silbe problematisiert.
Das Coaching wird seit drei Jahren praktiziert, wobei es den Mitarbeitern weitgehend freigestellt ist, an dem Verfahren teilzunehmen. Die Befragung erfolgt mittels eines Fragebogens, der 18 Items, die vier Dimensionen (Förderung, Führung und Kontrolle, Selbstreflexion, Feedback) abdecken, beinhaltet. In die Auswertung fließen 98 Fragebögen ein. Insgesamt, so zeigt die deskriptive Analyse, wurden 62 Mitarbeiter nach eigenen Angaben gecoacht, 19 Mitarbeiter wurden nicht gecoacht und neun machten keine Angaben. Im anschließenden teststatistischen Teil dokumentiert die Autorin zunächst die Überprüfung der Faktorenstruktur des Fragebogens mittels Konsistenz- und Faktorenanalyse überprüft.
Coaching, so zeigt die abschließende Überprüfung der Hypothesen, stellt für die besagte Stichprobe eine Methode dar, die eigene Arbeit zu reflektieren. Das Coaching-Verständnis unterscheidet sich dahin gehend, ob der Mitarbeiter bereits gecoacht wurde oder nicht. Der Mitarbeiter, dessen Definition von Coaching Führung und Kontrolle ist, behauptet nicht, dass Coaching unnötig sei. Es lassen sich zudem zwei verschiedene Coaching-Typen ermitteln, die sich vor allem in der Art des Coaching-Verständnisses unterscheiden: Einige Mitarbeiter definieren den Coach als Förderer, andere im Sinne von Führung und Kontrolle. Ihre recht unspektakulären Ergebnisse fasst die Autorin dahin gehend zusammen, dass das Ziel des Coaching Hilfe zur Selbsthilfe sei.
Für den betrieblichen Praktiker birgt diese Veröffentlichung kaum Neuigkeiten. Obwohl Coaching im Call Center-Kontext in der Fachwelt kritisch diskutiert wird, erfährt man nur, dass auch die Mitarbeiter eine kontroverse Sicht - Förderung versus Kontrolle - einnehmen. Fragen, die sich hier grundsätzlich und substanzieller anschließen können, werden weder aufgeworfen noch beantwortet. Angesichts des Verkaufspreises wird das Buch es so sicher nicht leicht haben, das Publikum zu überzeugen.