In den letzten Jahren mehren sich aufgrund einschlägiger Ergebnisse der modernen Neurobiologie die Hinweise zur verstärkten Nutzung von Emotionen für Lernprozesse. Das wussten Erlebnispädagogen in der Nachfolge von Jean-Jacques Rousseau, David Henry Thoreau oder Kurt Hahn, dem charismatischen Pädagogen und Leiter des Landerziehungsheimes Schloss Salem am Bodensee, schon lange. Erlebnisorientiertes Arbeiten bedeutet, Menschen in überschaubaren erfahrungs- und interaktionsintensiven Aufgabenbereichen arbeiten und kooperieren zu lassen, um ihnen so zu unmittelbaren authentischen Erfahrungen zu verhelfen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit sowie der Leistungsfähigkeit und körperlicher Grenzen spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle.
Outdoor-Trainings sind heute on vogue. Die Erlebnispädagogik ist andererseits noch immer auf der Suche nach ihrer wissenschaftlichen Position. Soziologen beobachten, wie heute zunehmend künstliche Erlebniswelten entstehen (wie z.B. das CentrO in Oberhausen oder das "Warner Brothers Movie World" in Bottrop). Der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski nennt diese Erlebniswelten die "Kathedralen des 21. Jahrhunderts". Das Erlebnis ist andererseits ein primärer Gegenstand psychologischer Forschung. Die kognitive Wendung in der Psychologie vor einigen Jahrzehnten hatte zwar zu kognitiven Einseitigkeiten geführt, doch das Pendel schlägt nun zur anderen Seite aus. Wie gut, dass man sich jetzt wieder näher kommt.
Der Autor steigt nun genau an der Stelle ein, indem er beide Bereiche, die Erlebnispädagogik auf der einen, und die noch recht junge Disziplin Coaching auf der anderen Seite zusammen bringen will. Doch die einleitenden Kapitel zur Erlebnispädagogik sowie zum Coaching sind nur knappe Einführungen in die Bereiche. Vor allem die wichtigen Themen Neurobiologie
- die Rolle des Limbischen Systems, die Funktion der Spiegelneuronen etc. - und Emotionspsychologie werden überhaupt nicht behandelt. Lediglich die Forschungen Mihaly Csikszentmihalyis zum "Flow" - allerdings ein weites und blumiges Feld - werden erwähnt.
Das Feld Coaching wird nach allen möglichen Richtungen hin aufgerollt und dargestellt, doch fehlen eine grundlegende Arbeitsdefinition sowie ein tragfähiges Modell. Wenn mit Rolf Meier Coaching von Training abgegrenzt wird, indem das Lernen im Coaching vom Anpassungs- und Veränderungslernen unterschieden wird, weil im Coaching eine Reflexion auf Sinnbezüge stattfindet, greift das eindeutig zu kurz - und unterstellt, dass solches beim Training nicht stattfindet, was sicher bestritten werden darf.
Im dritten Kapitel widmet sich der Autor, ein studierter Sozialpädagoge, der Verbindung beider Themen: dem erlebnisorientierten Coaching. Hierzu war bislang wenig veröffentlicht worden, stellt er fest. Der Autor resümiert deshalb, was er über das Thema in den zugänglichen deutschsprachigen Fachliteratur aber auch in populären Veröffentlichungen, im Internet und Newslettern gefunden hat. Zusätzlich führte er sieben Experten-Interviews, die er - eher umständlich und selektiv - dokumentiert und interpretiert; dass eine saubere inhaltsanalytische Auswertung offenbar nicht stattgefunden hat und die Ergebnisse mitnichten repräsentativ sind, gibt er selbst zu bedenken.
An dieser Stelle wird ein entscheidender Mangel dieses Buchs deutlich: Der Auftritt geschieht im Stil eines wissenschaftlichen Referats, wahrscheinlich liegt ihr eine Diplomarbeit zugrunde, die Methodik der Literatur- und Interviewauswertung kann diesem Anspruch aber nicht genügen. Das Engagement und die praktische Erfahrung des Autors scheinen immer wieder durch und wirken teilweise plausibel in ihrer Interpretation; doch hätte man sich als Leser eine stärkerer Trennung von Deskriptivem und Interpretation in der Darstellung gewünscht.
Insgesamt fehlen wissenschaftlich-theoriegeleitete Methodik und die dementsprechend ausgewerteten empirischen Belege. Stattdessen wird häufig unreflektierte Beratersprache benutzt, Begriffe nicht definiert und Theoreme aus verschiedenen Quellen zusammengepuzzelt. Wenn beispielsweise konstatiert wird, das der Einsatz der Methode "Imaginärer Coach" beim Klienten "innere Prozesse auslöst", ist das einfach zu wenig an Erkenntnis und es bleibt völlig offen, welche das sind, was sie bewirken oder wie man letztlich angemessen mit der Methode umgehen kann. Und das schließt selbstverständlich ein, was man eigentlich mit der Methode erreichen möchte (Ziel) und wie man die Zielerreichung überprüfen kann. Ausführungen zum Thema Evaluation reflektieren noch nicht einmal das Tuckman-Modell. Exemplarische Evaluationen wie solche von Uwe Kanning und Bernward Winter (2004) werden nicht rezipiert.
Im Ergebnis bleibt dies alles unbefriedigend. Und zwar sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus praktischer Sicht. Ein praxisorientiertes Buch, das etliche Fälle schildert und auswertet sowie Anleitungen zur Umsetzung eigener Maßnahmen gibt, oder eine anlass- oder indikationsbezogene Darstellung mit Hinweisen für erlebnisorientierte Settings wären vielleicht die bessere Veröffentlichungswahl gewesen.
Thomas Webers
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