Eine konzeptionelle Lücke systemischer Beratung ist die Arbeit mit unterbewussten Anteilen psychischer Identität, da diese nicht unmittelbar beobachtbar, differenzierbar und kommunizierbar sind. Die auf Gunther Schmidt zurückgehende Melange von Hypno- und systemischer Therapie –Hypnosystemik genannt – überbrückt dies auf interessante Weise. Die Hypnosystemik arbeitet mit dem impliziten Wissen in Trancezuständen als dem Kontakt des Bewussten/Willkürlichen mit dem Unbewussten/Unwillkürlichen. Was auf den ersten Blick esoterisch klingen mag, zeigt sich bei näherer Betrachtung als völlig geerdete Möglichkeit der Wahrnehmungserweiterung.
Schmidt hat keine Praxeologie seiner Arbeit geschrieben, da er jeder „Technik-Gläubigkeit“ (Schmidt im Geleitwort zum vorliegenden Buch) in der Adaption seines Ansatzes den Riegel vorschieben möchte. Er vermittelt seine Praxis durch Anschauung, z.B. in Videoaufzeichnungen. Den Bedarf an praktischen Hinweisen zur hypnosystemischen Arbeit stillen deswegen Autorinnen wie Ina Hullmann. Die Psychologin und Hypnotherapeutin besitzt langjährige Erfahrung mit der Hypnosystemik. Ihr gelingt die Erschließung auf hervorragende Weise.
Nach einer gut gemachten Einführung folgen die im Titel versprochenen zehn Tools. Jedes Kapitel umfasst dabei 20 bis 30 Seiten, was für die Rezeption ein guter Umfang ist. Der Begriff „Tool“ trifft es allerdings nicht und mag eher Verkaufszwecken geschuldet sein. Denn statt um Anleitungen geht es vielmehr um die Darstellung hypnosystemischer Modelle, die man rezeptiv in das eigene Beratungshandeln übertragen kann. Der aufgrund zugänglicher Sprache, guter Gliederung und gelungener Illustrationen nie langwierige oder schwerfällige Durchgang durch das „Why & How“ der Hypnosystemik ist lohnenswert. Eine vermutlich persönliche Note fügt Hullmann durch wiederholte Verweise auf Buddhismus und Yoga hinzu.
Für den Einsatz hypnosystemischer Arbeit im Coaching hebt die Autorin die Möglichkeit hervor, vorhandene, aber noch nicht willentlich nutzbare Potenziale und Ressourcen zu nutzen. Dies verkommt bei ihr jedoch nicht zu einem Leistungs- oder Machbarkeitswahn. Entsprechend versteht Hullmann die Rolle des Coachs. Dieser ist kein Constructor, sondern Mäeut – bzw. „Realitätenkellner“ (um mit Gunter Schmidt zu sprechen), der etwas aufs Tablett bringt, die Auswahl aber dem Gast überlässt.
Am Ende findet sich ein Hinweis auf die Ausbildung am Institut der Autorin. Dies hätte um Angebote in anderen Regionen ergänzt werden können (was vermutlich möglich gewesen wäre). Der Selbstbezug stört den positiven Gesamteindruck. Quellenverweise als Nachweise auf Referenzen und als Fundgrube vertiefender Literatur weisen interessierte Lesende freilich über das Buch hinaus.
Fazit: Ein gut erschlossener und gut erschließbarer Zugang in Idee und Umsetzung der Hypnosystemik für die eigene, verantwortete Coaching-Praxis.
Jan-Christoph Horn