Cover: Lebenscoaching. Zum Umgang mit Menschen, die sich ungeliebt, abgelehnt und ohnmächtig fühlen.
Fanita English, Joachim Karnath

Lebenscoaching. Zum Umgang mit Menschen, die sich ungeliebt, abgelehnt und ohnmächtig fühlen.

Rezension von Günther Mohr

3 Min.

Dieses Buch stellt einen Ansatz mit einem sehr breit gefassten Coaching-Begriff vor - wie er in Deutschland zum Beispiel ähnlich auch von Buer und Schmidt-Lellek (2009) verwendet wird. Coaching adressiert in diesem Sinne ein gelingendes Leben insgesamt. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass Leben nicht an der Grenze des Berufskontextes haltmacht. In der psychoanalytisch beeinflussten Sicht von Fanita English fallen unter Lebens-Coaching auch insbesondere der Umgang mit den Folgen schwieriger Lebensphasen der Kindheit und deren Bewältigung. Insofern wird auch die Trennung zwischen therapeutischen Beziehungen und Coaching nicht so sehr betont. Mehr werden die Gemeinsamkeiten beider Beziehungsfelder unter Nutzung von transaktionsanalytischen Grundgedanken beschrieben. 

Zwei sehr unterschiedliche, tragische Ereignisse, stehen als Ausgangsbeispiel am Beginn dieses Buchs: der Amoklauf an der Schule in Erfurt und der Tod des Politikers Jürgen Möllemann. Ihre Verläufe sind für die Autoren Beispiele für die Folgen von tiefem Verzweiflungserleben. Die zentrale Ursachenthese folgt dabei der Psychoanalytikerin Melanie Klein: Menschen können in ihrer Entwicklungspsychologie tiefe Unsicherheitserfahrungen und Verzweiflung erleben. Dieses Verzweiflungserleben prägt sich im unbewussten, impliziten Gedächtnis ein und lässt einen Abwehrmechanismus entstehen. Dieser besteht nach English und Karnath je nach Verarbeitung entweder in einer Selbstabwertung (ich bin nicht o.k.) oder einer Fremdabwertung (die anderen sind nicht o.k.). Dies ergibt zwei Charaktertypen, den des überlegen spielenden Typs 1 und den des sich eher unterlegen darstellenden Typs 2. Mit der Charaktertypbildung einher geht die Festsetzung bestimmter Entschlüsse und Überlebensschlussfolgerungen, die zum Lebensprogramm werden. Die Charaktertypen haben entscheidende Auswirkungen auf Führung und Rollenerwartungen beispielsweise in Organisationen. 

In einem zweiten Argumentationsstrang stellen die Autoren die Theorie der Ersatzgefühle dar. Ausgehend von Antonio Damasios Forschungen zu Gefühlen wird die Unterscheidung zwischen Empfindungen als ursprünglichen, körperlich bestimmten Reaktionen auf der einen Seite und Gefühlen als der geistigen Spiegelungsebene während einer Empfindung auf der anderen Seite getroffen. Dies bietet eine gute theoretische Grundlage für die Differenzierung der Gefühle auch in Richtung auf wenig angemessene und unfruchtbare emotionale Reaktionen. Da Gefühle in dieser Abgrenzung nicht direkt körperlich, sondern eher psychologisch bestimmt sind, lassen sie auch leicht jedwede Beeinflussung durch Lernprozesse zu, und machen individuell sehr unterschiedliche Gefühlsmuster möglich. Problematisch wird dann die beziehungsmäßige Auswirkung der Gefühle. Die heute kulturübergreifend identifizierbaren acht Grundgefühle laden den Gegenüber offensichtlich zu je spezifischen differenzierten Reaktionen ein. Die mögliche Beziehungsfolge der Ersatzgefühle in ihrer Auswirkung als "Ausbeutung" des Beziehungspartners wird von den Autoren ausführlich in mehreren Graden untermalt. 

English und Karnath betrachten zwei literarische Vorbilder der verschiedenen Charaktertypen: Hamlet und Othello. Man lernt so, heutige Hamlets und Othellos zu beraten. Dies ist eine sehr interessante Anwendung der Charaktertypentheorie an bekannten literarischen Beispielen. 

Die Theorie der frühen Verzweiflungsphase mit Bestimmungscharakter für die Orientierung im menschlichen Leben passt als Auslösethese zu wesentlichen transaktionsanalytischen Konzepten. Sie wird ähnlich auch in Alfred Adlers Theorie des Minderwertigkeitserleben mit Kompensation durch Geltungssucht einer Lebensleitlinie vertreten und hat in der Skripttheorie von Berne eine wichtige Differenzierung gefunden. English und Karnath bieten die psychologischen Zusammenhänge in einer flüssigen und interessanten Form an. Der Start mit der Darstellung zweier schlimmer, schicksalhafter Verläufe zeigt auf, welche Tragweite die Autoren in ihrer Grundkonzeption sehen. Wenn auch die begründete, spezifische Unterscheidung von Coaching und Therapie erhalten bleiben sollte.

Günther Mohr

Hofheim
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