Das lösungsfokussierte Coaching umgibt seit Langem eine gewisse Aura. Angetreten mit dem Credo "Kurzzeit" trat es mit einem Selbstbewusstsein auf den Plan, der andere Coaching-Ansätze erschaudern ließ. Da wurde scheinbar eine Blitzlösung für Probleme versprochen, an denen andere sich Stunden um Stunden, wenn nicht gar Monate abarbeiteten. Der Ansatz kulminierte in der berühmten Wunderfrage: Wenn Du morgen früh aufwachst, ist ein Wunder geschehen, alle Deine Sorgen sind verschwunden , das, was Du Dir immer erhofft hast, ist Wirklichkeit geworden: Woran wirst Du das als Erstes feststellen? Woran werden es andere bemerken?
Was für eine Kränkung für Coaches, die bislang anders gearbeitet hatten. Die insbesondere dem Problem auf den Grund gingen, es diagnostizierten, um dann einen Plan zu entwickeln, wie man dem Klienten helfen könnte. Doch von Problemen wollten die lösungsorientierten Coaches gar nichts wissen! Sie waren nur an Lösungen interessiert. Sie behaupteten gar, Lösungen hätten mit Problemen nichts zu tun.
Die Skepsis war groß – und ist es teilweise heute noch. Was auch dadurch befeuert wird, dass die berühmte Wunderfrage inzwischen von gar manchem ziemlich unbedarft, inflationär und unprofessionell, quasi als Allzweckwaffe eingesetzt wird. Etliche Zeitgenossen verdrehen schon die Augen, wenn sie sie hören. Dabei ist sie mehr als trivial. Die eigentliche Arbeit des Coachs beginnt aber erst nach der Wunderfrage: Er muss den Klienten anregen, vom Wunder (Zukunft) zur Gegenwart zurückzudenken.
Jörg Middendorf blickt nun selbst auf über 20 Jahre Beschäftigung mit dem lösungsorientierten Ansatz zurück. Er ist in der Coaching-Szene eine Institution, führt er doch neben der eigenen Tätigkeit als Business-Coach seit circa 15 Jahren die vielbeachtete Coaching-Umfrage Deutschland durch. Mit diesem Büchlein hat er für ein breites Publikum die Grundlagen des lösungsfokussierten Coachings in knappen Zügen und praxisorientiert dargelegt. Er führt die Leser zu Beginn zur Geburtsstunde des Ansatzes zurück in die 1980er-Jahre an das Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Wisconsin (USA). Steve de Shazer und Insoo Kim Berg hatten dort einen Ansatz entwickelt, der die Ressourcen der Klienten heraushob und auf die Wirkung positiver Ziele setzte.
Der Leserschaft erschließt sich das Vorgehen anhand eines konkreten Beratungsablaufs, ebenso der Einsatz der Methoden. So liefert der Autor auch mehr als 130 Fragen zur Anregung des eigenen lösungsfokussierten Denkens oder zum Einsatz in der Arbeit mit dem Klienten. Dabei werden fünf zentrale Aspekte deutlich:
- Joining, das Herstellen einer positiven Arbeitsatmosphäre
- Zielfokussierung
- Ausnahmen vom Problem sowie Ressourcen
- Skalierung von Unterschieden
- Komplimente und Anleitung zu Verhaltensexperimenten
Zum Schluss präsentiert der Autor noch die Formula First Session Task (FFST). Hiermit wird dem Klienten aufgetragen, in den nächsten zwei Wochen darauf zu achten, was sich in seinem Leben nicht verändern soll. Damit erweist sich der lösungsorientierte als ein optimistischer Ansatz.
Fazit: Dem Autor ist eine schöne, kurze und doch differenzierte Einführung in lösungsorientiertes Arbeiten für Coaches gelungen.