In der Krise spielt der Berater bestenfalls die zweite Geige. Dann stärkt er das System so, dass es sich in der Folge „selbst“ stabilisiert. Sein Einfluss ist begrenzt, weil er nicht über ausreichende Systemkenntnisse verfügt. Die Führungskraft – im Bild die erste Geige – verfügt hingegen nicht über ausreichend Krisenerfahrung. Wenn beide sich ergänzen, werden sie die Selbststabilisierungskräfte des Systems, der Mitarbeiter und anderen Beteiligten aktivieren. Das Eigentliche passiert also mit zumindest drei Beteiligten. Welche Elemente noch zu einer erfolgreichen Krisenintervention gehören, diskutiert Volker Sotzko anhand zahlreicher Beispiele. So entsteht eine anregende Verknüpfung von Coaching-Praxis und Krisenintervention, um vor dem Hintergrund der Systemtheorie ein Modell für das Coaching von Führungskräften in Krisensituationen zu entwerfen.
Die Untersuchung von Sotzko ist aus seiner Masterthesis entstanden, der wiederum Jahre praktischer Erfahrung als Begleiter und Berater in Notfällen und Krisen sowie deren Vertiefung in einem Master Studium der Psychotraumatologie und des Stressmanagements zugrunde lag. Nach Fritz B. Simon ist der Notfall eine Anpassungsstörung, die wir noch mit Lösungsmodellen erster Ordnung behandeln können: dem, was im System schon vorhanden ist und „mehr desselben; “Angst, Panik, Flucht; und eben dem Reaktionsmuster „Krise“ selbst.
Offenbar ist uns der Notfall vertrauter als die Krise: So ist unsere Tendenz zu erklären, auch auf die „echte“ Krise (nicht die, die nur Lösungsmodell für einen Notfall ist) mit Lösungsmodellen erster Ordnung zu reagieren - und zu scheitern. Stattdessen aktiviert ein Resilienz-Coaching, so Sotzko, die eigentlich vorhandenen Ressourcen (Erfahrungen und Fähigkeiten), adaptiert und verhandelt bzw. behandelt sie unter den verschiedenen Akteuren.
Innovativ erscheint Sotzkos Weiterentwicklung von Simons Ansatz, wonach die Krise selbst als Lösungsmodell erster Ordnung und damit als Anpassungsprozess zu verstehen ist, der aufgrund eigener Bewertungen nicht gelingen kann. Sie verlangt dann definitionsgemäß nach einer (Bewertungs-) Musterunterbrechung, zumeist einer Intervention, die ein Lösungsmodell zweiter Ordnung ins Spiel bringt. Vorhandene Ressourcen werden wieder wahrgenommen, aktiviert und für eine neuartige Lösung eingesetzt, die das System in eine neue Balance bringt.
Der Autor hat neun Experten zu 19 Kriseninterventionen interviewt. Die in der Auswertung gefundenen Punkte ordnet er fünf Schlüsselkategorien zu – dem „systemisch-konstruktivistischen Paradigma“ und vier Kategorien des Helfersystems.
Das Buch bietet eine nützliche Fundgrube für Quellen zu Systemik und Resilienz. Im Buch findet sich die Ankündigung des Autors, an einem Folgeband zu arbeiten, der Anwendungsbereiche und Tools des Resilienz-Coachings darstellen soll. Viele Anregungen, Coaching in Krisensituationen zu reflektieren und wirksamer zu gestalten, und Grund, sich auf den zweiten Band zu freuen.
Fazit: Viele Anregungen für die Reflexion und Effektivierung des Coachings in Krisensituationen und Gründe, sich auf den zweiten Band zu freuen.