Cover: Resilienz für die VUCA-Welt. Individuelle und organisationale Resilienz entwickeln.
Jutta Heller

Resilienz für die VUCA-Welt. Individuelle und organisationale Resilienz entwickeln.

Rezension von Günther Mohr

5 Min.

Die These, dass man eine Veränderung der Welt in Richtung von mehr Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA- Welt) feststellen kann, hat sich in den Bereichen Coaching und Organisationsentwicklung sehr verbreitet. Der von Jutta Heller herausgegebene Band "Resilienz für die VUCA-Welt" fasst im Wesentlichen Beiträge vom Erdinger Coaching-Kongress 2017 "Coaching heute: Resilienz für die VUCA-Welt" der Hochschule für angewandtes Management zusammen. Am Anfang formuliert die Herausgeberin den Anspruch, ein möglichst breites Spektrum von Resilienz für die VUCA-Welt abzudecken. 19 Beiträge widmen sich dieser Aufgabe. Die großen Blöcke des Buches sind überschrieben mit

  • Ganzheitliche Ansätze individueller und organisationaler Resilienz
  • Die VUCA-Welt als Konstante zukünftiger Arbeitswelten
  • Messung der Resilienzstärke von Individuen, Teams und Organisationen
  • Neurobiologische und medizinische Grundlagen der Resilienz
  • Individuelle Resilienzstärkung
  • Praxisbeispiele zur Resilienzförderung

Im ersten Aufsatz zeichnet Jutta Heller Grundthemen der Resilienz auf. Wie auch in fast allen folgenden Beiträgen wird die These der zunehmenden Komplexität der Welt betont und einzelne „Säulen“ der Resilienz beschrieben. Das folgende so genannte FIRE-Modell von Karsten Draht, das „unter Zuhilfenahme fundierter Konzepte mehrerer anerkannter Psychologen, Psychiater, Soziologen, Biologen und Hirnforscher“ (S. 21) entwickelt worden ist, stellt verschiedene Sphären der Resilienz wie Persönlichkeit, Biografie und Beziehungen vor. Es wird rohe und erarbeitete Resilienz unterschieden, wobei die rohe quasi eine angeborene sei. Interessanterweise enthält der Beitrag nicht einen Literaturbezug, obwohl auf „aktuelle Forschungsergebnisse“ (S. 23) hingewiesen wird.

Sylvia Kéré Wellensiek stellt einen Resilienz-Trainingsparcours vor. Zum bevorstehenden Umbruch in die VUCA-Welt („Der Durchbruch steht bevor“, S. 49) stellt der Beitrag von Ulrich Lenz den Ursprung des VUCA-Konzeptes aus der amerikanischen Militärerfahrung mit den asymmetrischen Kriegen in Nahost vor. Das vom U.S. Army War College entwickelte Konzept habe dann Eingang in das Denken über Wirtschaft gefunden: „Die Übertragung dieser Erkenntnisse auf Zivilgesellschaft und Wirtschaftsunternehmen ist evident“ (S. 52). Veränderungen der Wirtschaft zeigten sich dadurch – so wird Sattelberger zitiert – dass Konsumenten „zusehends auf Augenhöhe zu den Produzenten“ seien (S. 53). Dies habe mit der Einbindung der Konsumenten in die Produktionsprozesse zu tun. Als Lösungsansatz wird der Ansatz von Bushe und Marshak vorgeschlagen, die eine Sammlung verschiedenster Tools (World Cafe, Open Space etc.) durchgeführt haben und dafür das Label Dialogische Organisationsentwicklung nutzen. Konkret seien dazu „sanktionsfreie Lernräume“ nötig. Auch Lenz versucht die Übertragbarkeit der VUKA-Theorie vom Militär auf die Wirtschaft zu begründen.

Zur Messung organisationaler Resilienz stellt Heller mit anderen die ISO-Norm 22136:2017 vor, die in neun Dimensionen organisationale Resilienz zu erfassen versucht. Petra Golenhofen stellt die Polyvagaltheorie zum Nervensystem von Stephen Porges vor. Teresa Keller versucht, in „Innere Ruhe durch stärkenorientierte Selbstwahrnehmung“ die „Dynamische Welt“ zu begründen. Keller beschreibt einen Unterschied von Fähigkeiten und Stärken und sieht bei den Stärken eine wesentliche Talent- und genetische Komponente. Sie leitet 24 so genannte Charakterstärken auf den Dimensionen „Weisheit und Wissen“, „Mut“, „Menschlichkeit“, „Gerechtigkeit“, „Mäßigung“ und „Transzendenz“ ab. Humor tritt interessanterweise unter Transzendenz auf. Die Idee ist, dass Mitarbeiter zufriedener sind, wenn sie ihren Stärken entsprechend eingesetzt sind. Ein interessanter Ansatz ist in diesem Zusammenhang das Jobcrafting. Es bedeutet, dass Mitarbeiter eigenständig ihre Arbeitsplätze in Richtung ihrer Stärken verändern. Beate und Olaf Hofmann berichten darüber, wie Naturerleben zur Resilienz beitragen kann. Bei Karin Lohner steht mit Encouragement der Mut wieder im Vordergrund. Anja Mumm stellt systemische Interventionen wie zirkuläres Fragen, Wunderfrage, Tetralemma u.a. dar. Die letzten beiden Beiträge sind Praxisbeispiele von der Feuerwehr und aus dem Luftverkehr.

Insgesamt stellt das Buch eine ganze Reihe von beraterischen Herangehensweisen und interessanten Coaching-Aspekten zur Resilienz vor. Der Schwerpunkt liegt – sieht man von der ISO-Norm ab – stark auf der individuellen Resilienz, auch der des Individuums in Organisationen. Zur kritischen Einordnung des Buches stellen sich einige Fragen. Die Grundthese, dass durch die VUCA-Welt eine so fundamentale gute Beschreibung für den heutigen Wandel gelingt, leuchtet mir, nachdem ich diese Vorstellung anfangs auch interessant fand, mittlerweile nicht mehr ein. Zwar dienten militärische Organisationsprinzipien schon immer als Vorbild für die Wirtschaft. Viele Unternehmen sind heute noch nach einem alten militärischen Grundbild von Befehlsketten geprägt. Der Transfer amerikanischer Militärlektionen mit den afghanischen und irakischen Guerillakämpfern auf wirtschaftliche Prozesse in Hochtechnologiemärkten bleibt aber zu hinterfragen.

Dass Innovationsprozesse heute einem Beschleunigungsdruck unterliegen, ist klar. Schneller auf dem Markt sein als andere war aber auch schon bei Edisons Glühlampe das Thema. „Nichts ist, wie es einmal war“, sagt ein Artikel des Buches (S. 214). Eine solche Zusammenfassung ist so wahr wie falsch, erscheint nachvollziehbar, aber bei genauer Betrachtung gewagt. Ein Autor führt Untersuchungen von Unternehmensberatungen wie Cap Gemini und KPMG an, die natürlich Notwendigkeiten mit Beratungsbedarf konstruieren. Vor allem sind nicht nur technologieverursachte Entwicklungen wie durch die Digitalisierung festzustellen. Viele heutige Komplexitätsprobleme des Alltags sind durch wirtschaftspolitische Entscheidungen wie Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, Privatisierung im Wohnungsmarkt, in der Gesundheitsversorgung und der Altersversorgung entstanden.

Fazit: Fest steht allerdings, dass all das Resilienznotwendigkeiten hat entstehen lassen. Deshalb gibt das Buch hier interessante Anregungen und Diskussionsstoff. Der Einzelne hat zunehmend mehr Resilienzerfordernisse. Unternehmen sind davon bisher sogar etwas ausgenommen, weil die Konjunktur die Insolvenzquote in den letzten Jahren sehr hat sinken lassen. Dies wird sich allerdings in den nächsten Jahren ändern. Also insgesamt für Interessierte am Thema ein stimulierendes Buch.

Günther Mohr

Hofheim
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