Victor Frankls Ideen und sein therapeutisches Modell erleben in den vergangenen Jahren eine wahre Renaissance. Aufgegriffen werden sie von einer beraterischen Disziplin, die sich häufig in Abgrenzungsbemühungen wie auch Wettbewerb zu Therapie befindet, dem Coaching.
Die Autoren legen nun ein Buch vor, in dem sie die konsequente Anwendung des logotherapeutischen Theoriefundus auf Business-Coaching demonstrieren. "Wertecoaching", wie sie es nennen, definieren sie dabei als eine substanzielle Begleitung des Klienten vor allem in brisanten Lebens- und Arbeitssituationen.
Hervorragend gelungen, kenntnisreich und anregend geschrieben sind die ersten Kapitel des Buches. Das Thema Sokratischer Dialog wird allerdings etwas zu angestrengt abgehandelt und wirkt im Kontext mit seinen knapp 20 Seiten aufgepfropft und "unrund". Aber die Ausführungen "Der Mensch strebt nach Sinn" sind eine erstklassige Hinführung zu Frankls Denken. Die Methoden und Interventionsformen der Logotherapie werden hier übersichtlich und nachvollziehbar dargestellt, angefangen mit Paradoxer Intention (und hier findet sich (endlich!) eine klipp-und-klare Unterscheidung von paradoxer Intervention vs. paradoxer Intention, die ja leider immer wieder gleichgesetzt werden) über Dereflexion bis zu verschiedenen Verfahren der Einstellungsmodulation.
Wertvoll im Wortsinn das Kapitel "Wertecoaching" mit den zehn Thesen zum Transfer logotherapeutischen Gedankenguts ins Coaching, hilfreich, eingängig, nachvollziehbar. Die Thesen werden jeweils eingeleitet mit Zitaten aus Frankls Werk und dann in ihrer Bedeutung für das Coaching expliziert. Und immer wieder wird deutlich: der Mensch kann sich und sein Leben ändern, wenn er es nur will. Dabei ist der Coach unterstützend in einem Prozess der Ermöglichung von Neuorientierung und Sinnerkenntnis.
Während die Autoren bereits vorher die Unterscheidung zwischen Gesundheit und Krankheit ganz im Franklschen Sinne deutlich gemacht haben, findet sich hier nun auch eine Tabelle und eine Grafik, die Unterstützung geben in der Frage, wann Coaching, und wann eher eine Therapie indiziert ist. Manchem Anfänger-Coach kann die Reflexion dieser Ausführungen nur dringend empfohlen werden zur Präzisierung der eigenen Rollendefinition.
Das Tool-Repertoire, das in den folgenden acht ausführlichen Fallbeispielen Verwendung findet, ist sehr weit gefächert und zu großen Teilen aus anderen (Coaching-) Modellen bestens bekannt. Zwar wird alles harmonisch in die Werteorientierung bzw. das Werte-Coaching hinein argumentiert, aber bei einigen der Fälle wird dann doch die Frage nach der logotherapeutischen Verortung drängend. Der im Buch mehrfach offerierte Internetauftritt hilft in dieser Frage nicht weiter: Es handelt sich beim Passwort geschützten Bereich um einen enttäuschend kommerziellen Shop für Spiele, Selbstanalyseverfahren und ähnliches.
Die Fallbeispiele - die Abfolge orientiert sich am "gefühlten Grad des Brisanz-Erlebens" - präzisieren, warum die Autoren die Auseinandersetzung mit Frankl als Desiderat für Führende und Geführte in Unternehmen betrachten. Angefangen mit dem lebenshistorisch "leichteren" Problem eines Orientierungsbedarfs in einer ansonsten befriedigenden beruflichen Situation reicht die Bandbreite bis hin zu schweren Krisen im aktuellen Arbeitskontext: Die Rückbesinnung auf das, was der Person zutiefst wertvoll ist, und die Neuausrichtung an den persönlichen Werten verhilft glaubhaft zu Handlungsfähigkeit in schwierigen beruflichen Zeiten.
Diese kritischen Anmerkungen mindern allerdings den Wert des Buches nicht. Es ist ein anregend lehrreiches und erfreuliches Buch. Aufmachung und inhaltliche Gestaltung machen den Zugang zum Thema leicht, verführen zum Lesen und machen das Buch zu einem fachlichen "Page-Turner". Insgesamt eine gelungene Veröffentlichung, die auch erfahrenen Coachs zu Auffrischung und Erweiterung ihres Repertoires empfohlen werden kann.