Im Rahmen der im Moment durchaus zahlreichen Bücher zur Agilität gibt es zwei Gruppen. Zum einen werden sie von Autoren verfasst, die aus dem IT-Bereich stammen und methodische Aspekte der Zusammenarbeit importieren. Die zweite Gruppe bietet zum anderen Konzepte, die von einem psychologischen oder professionellen Ansatz ausgehen und diese auf die neuen Projektmanagementwelten wie etwa Scrum anwenden.
Das hier vorliegende Buch „Agile Teams lösungsorientiert coachen“ gehört zur zweiten Gruppe. Es wendet die von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg am Milwaukee-Institut begründete Methode der lösungsorientierten Kurzzeitberatung auf Situationen des agilen Arbeitens an. In neun Kapiteln beleuchten die Autoren das Vorgehen der Methode und danach ihre Anwendung in Teams.
Veronika Kotrba und Ralph Miarka benennen sechs grundlegende Coaching-Haltungen. Es beginnt mit der Haltung des Nicht-Wissens. Jeder sei Experte für sich selbst. Außerdem werden erwähnt: Geduld und Zuversicht, Ressourcenfokus, Allparteilichkeit und Vertraulichkeit. Danach folgen „bedeutsame Prinzipien“ wie „Fokus auf bessere Zukunft“, „Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon“, „Wenn etwas nicht (mehr) funktioniert, mache etwas anderes“ oder „Kleine Schritte können große Veränderungen bewirken“. Die zentralen Vorgehensweisen der lösungsorientierten Kurzzeitberatung, wie etwa die Wunderfrage, werden beschrieben. Die Einführung geht dabei über de Shazers Ansatz hinaus und wird durch andere systemische Vorgehensweisen ergänzt. Manches, etwa das zirkuläre Fragen, kommt leider sehr knapp herüber. Kleinere Modelle zu Motivation und Persönlichkeit wie SCARF (Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness) versuchen‚ Orientierung für Interventionen zu geben.
Für die praktische Umsetzung haben die Autoren schöne Übungen zusammengetragen. Die Beispiele thematisieren Arbeitssituationen, die in Teams auftreten, die auch agile Verfahren, etwa Scrum, umsetzen. Hier hätte ich mir noch mehr spezifische Exempel, beispielsweise zu typischen Rollenkonflikten zwischen Product Owner, Scrum Master und Team, gewünscht.
An einigen Stellen stockt man etwas, da zwar durchaus verbreitete, aber doch etwas psychoszene-ideologisch klingende Positionen geäußert werden. „Keiner kann einen anderen wirklich verstehen.“ (S. 22) Die empfohlene Zurückhaltung des Coachs wird damit begründet, dass jeder sich selbst am besten kenne. Dies ist sicher ein verbreiteter Glaubenssatz. Man kann meist sagen, dass der Einzelne vielleicht eher Experte für sich selbst ist als andere. Genauer betrachtet wissen viele Menschen auch nicht wirklich etwas über sich, zumindest nicht bezüglich der Fragestellung, wegen der sie ins Coaching kommen. Gerade deshalb kommen sie ja ins Coaching. Denn Coaching beruht darauf, dass mithilfe anderer eine Veränderung erzielt wird, also durch die Begegnung auch das Einwirkenlassen eines anderen. Aus heutiger Sicht würde man eher sagen, dass Coaching ein kokreativer Prozess zwischen Coach und Klient ist, in dem neue Lösungen erarbeitet werden.
Fazit: Insgesamt hat man vieles in diesem Buch schon in anderen Büchern gelesen. Aber es ist gut geschrieben und durch die Übungen aufgelockert. Die Methode ist anwendungs- und lesefreundlich beschrieben.
Mir war es selbst noch vergönnt, de Shazer persönlich kennenzulernen. Besonders imponiert hat mir seine Haltung bei Fragen, die er nicht beantworten konnte. Er sagte dann, er wisse es nicht, denn dies hätten sie am Institut noch nicht untersucht. Die Frage „What else?“ („Was noch?“) war ebenso dominierend. „Was stattdessen?“ wie bei Kotrba und Miarka als „Zwischenfrage“ zu bezeichnen, halte ich für etwas unterrepräsentativ. Leider werden von den Autoren auch Konzepte nicht immer mit ihren ursprünglichen Autoren verbunden. So ist die Wunderfrage von de Shazer eine Konkretisierung der Pseudo-Prolongation in die Zukunft von Milton Erickson. De Shazer hatte ähnlich wie die Autoren des NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren), Bandler und Grinder, ausführlich die Live-Bänder von Erickson analysiert und daraus Techniken abgeleitet. Man kann nicht an alles denken, sagte einmal ein DBVC-Kollege, aber spannend ist es schon, wie die Konzepte entstanden sind.