Cover: An Konflikten wachsen. Konflikt-Coaching und die Sorge um sich selbst.
Barbara Schellhammer

An Konflikten wachsen. Konflikt-Coaching und die Sorge um sich selbst.

Rezension von Prof. DDr. Wolfgang Dietrich

3 Min.

Was in Titel und Umschlag wie ein Ratgeber für Konflikt-Coaching daher kommt, lädt zuerst zum Überdenken tradierter Selbstverständlichkeiten der Coaching-Branche ein. Denn die Autorin Barbara Schellhammer, die Konflikttransformation als philosophische Praxis versteht, ist gelernte Philosophin mit Forschungsschwerpunkt in interkultureller Philosophie.

Folgerichtig ist der erste Teil des Buches „An Konflikten wachsen“ unter dem Titel „Selbstsorge“ eine Tour de Force durch die Philosophie des Selbst von den griechischen Vorsokratikern bis zur Gegenwart. Der historisch-kulturwissenschaftliche Zugang erlaubt es, die in der europäischen Geschichte seit Platon verbindliche Tradition einer unsterblichen Freiseele zu durchschreiten und zu beziehungshafter Vielheit von Seelen, Selbsts und Subjekten (S. 41) zu gelangen, wie sie in der Philosophie Nietzsches und vielen nicht europäischen Traditionen gelehrt wird.

Die entscheidende philosophische Vorbedingung für die Sorge um das Selbst im Coaching ist demnach, ob dieses Selbst transzendent als Individualität wahrgenommen wird oder als beziehungshaft bedingte Individuation aus immanentem Zusammenhang. Was sich kompliziert anhört, vermittelt die Autorin durch griffige Zitate, wenn sie etwa das „niemandig Werden“ im Zen-Buddhismus (S. 14) beschreibt, sich der Dialog-Philosophie Martin Bubers (S. 31) bedient oder tiefgründig zur Meditation über Sören Kierkegaard lädt (S. 41): „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält.“

Ihr eleganter Schreibstil erlaubt es Schellhammer, komplexe Philosophie so verständlich zu vermitteln als wäre sie einfachste Grundlage für angewandtes Konflikt-Coaching. Worauf sollte auch ein Coaching beruhen, das nicht zu unterscheiden vermag, ob es auf transzendentes oder immanentes Verständnis des Selbst baut? Hinter der Sachlichkeit dieses ersten Kapitels verbergen sich unerlässliches Grundwissen und geradezu revolutionäre Herausforderungen für das zumindest in Europa tradierte Verständnis des Selbst.

Der zweite Teil zu angewandtem Konflikt-Coaching sollte ursprünglich von Erika Deines verfasst werden, aber Schellhammer musste auch diesen Teil übernehmen. Dabei gelingt ihr der Perspektivenwechsel eindrucksvoll. Zwar schreibt sie weiter aus ihrer interkulturellen Erfahrung, löst aber das Versprechen des Praxis-Ratgebers ein, indem sie Deines' P.A.C.E. Modell der vier Phasen „planning“, „approach“, „competence“, „experience“ vorstellt (S. 98ff). Obwohl dieser Praxis-Teil erhellend in die Neuro-Psychologie verweist und mit der philosophischen Grundlage im Einklang steht, dürfte er das Fachpublikum weniger überraschen oder provozieren als der erste.

Fazit: Dieses Buch empfiehlt sich Konfliktarbeitern, welche die Grundlagen ihres praktischen Tuns systematisch durchdenken und sich dafür unkonventioneller Denkanregungen bedienen wollen.

Prof. DDr. Wolfgang Dietrich

UNESCO Chairholder for Peace Studies
University of Innsbruck/Austria
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