Die Diplomarbeit von Romina Henle wurde 2008 vom Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC) mit
einer Nominierung für den Coaching-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Was könnte eine Rezension heute (2010) also noch beitragen? - Eine unprätentiöse Arbeit, die aber in der Darstellung der Wissensentwicklung zur Coaching-Praxis interessant bleibt und in gewisser Weise über sich hinaus weist.
Ausgangspunkt ist die Fokussierung von Coaching als Maßnahme für Personalentwicklung. Daraus abgeleitet folgt der Ansatz bei der individuellen Entwicklung von Kompetenzen insbesondere von Führungsverantwortlichen. Vor diesem Hintergrund werden systematische Auswahlprozesse externer Coachs durch interne Personalentwicklung in einigen Unternehmen im deutschsprachigen Raum dargestellt. Personalentwicklung und Personalentwickler mit ihren Kompetenzen in der Rekrutierung und Personalauswahl fungieren dabei für externe Coachs als Torwächter. Auswahlprozesse sind entsprechend gestaltet - vom persönlichen Interview bis zum systematischen Assessment von Anforderungsprofilen.
Im zweiten Teil ihrer Arbeit konfrontiert Romina Henle die Aussagen der Unternehmen mit der tatsächlichen Praxis. Experteninterviews aus neun Unternehmen werden thematisch verglichen. Im nächsten Schritt werden die gefundenen Vergleichspunkte theoretisch konzeptionalisiert. Anforderungen, Vorauswahl, Auswahlprozess und -methoden, Evaluierung und Implementierung lassen sich thematisch differenzieren. Die Ergebnisse sind zunächst wenig überraschend: Qualifikation, Berufserfahrung, Feldkompetenz, kulturelle Passung der Coachs stehen im Mittelpunkt der Auswahlprozesse.
Romina Henle versteht ihre Arbeit als eine explorative Untersuchung. Das Design der Gegenüberstellung von offiziellen Aussagen und gelebter Praxis ist fruchtbar. Generalisiertes Praxiswissen zeigt sich in den Grenzen der jeweiligen Anwendungssituation. Interessant ist das Fazit: (1) Alle Auswahlverfahren setzen für ihre operative Durchführung interne Expertise für Coaching voraus. (2) Die Auswahl über bestimmte Merkmale von Coachs wird getrieben und ergänzt durch die real existierenden Netzwerke der internen Personalentwickler. (3) Coaching-Maßnahmen sind im Kontext Personalentwicklung unternehmensspezifisch, das heißt kulturell gebunden. - Das sind auch mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsfragen.
Der zweite Gewinn der Lektüre ist der Vergleich mit Veränderungen der Auswahlprozesse für Coaching in den letzten Jahren. Insbesondere internationale Unternehmen gehen zunehmend den Weg, für die Auswahl von Coachs und die Implementierung von Coaching-Programmen externe Firmen zu beauftragen. Das senkt Transaktionskosten und bringt Qualitätsentwicklung und Professionalisierung in der marktlichen Differenzierung von Leistungen und Leistungsanbietern. - Die Erfahrung, dass Praxiswissen, das festgehalten wird, sich schon wieder überholt, ist kein Manko. Im Gegenteil: Hätten wir es nicht festgehalten, könnten wir auch die Veränderung nicht beobachten.
Dr. Michael Loebbert
Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch