Cover: Beratungskompetenz. Supervision, Coaching, Organisationsberatung.
Kurt Buchinger, Monika Klinkhammer

Beratungskompetenz. Supervision, Coaching, Organisationsberatung.

Rezension von Thomas Webers

7 Min.

Beratungskompetenz! Viele versprechen dies, viele fragen sie nach. Und nichts wäre mehr nötig, schaut man sich den gar bunten, wild wuchernden und fast unübersehbaren Beratungsmarkt an. Wenn sich dann ein Professor für Organisationsberatung (Universität Kassel), unterstützt durch eine Kollegin, einmal die Zeit nimmt, ein Grundlagenwerk über Supervision, Coaching und Organisationsberatung zu schreiben, dann ist die Erwartung groß.
Umso größer ist in diesem Fall die Enttäuschung. Denn dieses Buch erfüllt die geäußerten Erwartungen in keiner Weise, noch bietet es eine überzeugende Zusammenstellung der Entwicklungsgeschichte, Grenzen und Nachbarschaften von Supervision und Coaching - auch in Bezug zur Organisationsberatung, wie der Klappentext verspricht. Schon im zweiten Kapitel, das sich der Geschichte und den aktuellen Trends der drei Beratungsansätze widmet, wird recht schnell die These aufgestellt, Supervision sei der ältere (und professionellere) Ansatz, der von den Organisationsberatern für deren Zwecke adaptiert worden sei, und den sie dann, wo sie selbst den eher personenorientierten Zugang der Supervision im Management in den Vordergrund stellten, Coaching nennen würden. Der etwas bewanderte Leser wird sich da heftig die Augen reiben und den Kopf schütteln, doch es wird nichts nutzen; die These zieht sich beharrlich durch das ganze Buch.
Mag sein, die Supervision ist dem Coaching in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, beispielsweise in der Art des Setting. Doch ist sie ursprünglich im sogenannten Non-Profit-Sektor entstanden und hat sich klar auf die Zielgruppe der dort arbeitenden Beziehungsarbeiter wie Therapeuten, Sozialarbeiter usw. fokussiert. Darüber hinaus hat sie in der Wirtschaft praktisch keine Verbreitung gefunden - mangels Akzeptanz. Der Grund hierfür liegt nicht nur in der Namensgebung, wie die Autoren behaupten, die Akzeptanz stellt sich kaum mit einer Um-Etikettierung ein. Dafür, dass Coaching als Beratungsformat in der Wirtschaft erfolgreich sein konnte, musste es spezifisch anschlussfähig werden. Warum dies dem Coaching, aber nicht der Supervision gelang, dafür leistet dieses Buch einen - vielleicht unfreiwilligen - Erklärungsansatz.
Denn es gelingt der Supervision offenbar nicht, die eigenen Entstehungs- und Arbeitsbedingungen kritisch zu reflektieren und als konstitutiv für den eigenen Ansatz zu begreifen. Stattdessen wird der Fehler bei den anderen, in der Wirtschaft gesucht. Dort wolle man sich weder helfen lassen, noch hilfsbedürftig sein, konstatieren unsere Autoren im dritten Kapitel "Qualitätsmanagement", um dann noch einen drauf zu setzen: Führungskräfte in der Wirtschaft sähen sich eher als ewig junge, kreative, dynamische, im kämpferischen Wettbewerb gestählte Hochleistungssportler. - Solche und weitere undifferenzierte, polarisierende oder durchaus "schräge" Plattheiten und Behauptungen, für die in der Regel auch keine Belege angebracht werden, statt dessen zitiert man sich am liebsten selbst, lassen gehörig an der nötigen Fach- und Feldkompetenz der Autoren zweifeln.
Das vierte Kapitel widmet sich dem Thema Institution und Organisation und liefert nun eine breite soziologisierende Darstellung - und damit übrigens auch einen Erklärungsansatz für die Nichtanschlussfähigkeit der Supervision an die Wirtschaft. Ausgangspunkt der Autoren ist die "Entinstitutionalisierung", die als Erosion der Gesellschaft verstanden wird. Die Darstellung ist plakativ und bedient sich zunächst Verweisen auf
Richard Sennett, um dann später in eine psychoanalytische Erklärung zu münden. Als Verdacht drängt sich an dieser Stelle ein fundamentales sozialarbeiterisches Vorurteil auf: Im Wohlfahrtskartell, im Öffentlichen Dienst, in all den Bereichen, in denen klassischerweise Supervisoren tätig sind, scheint möglicherweise eine gesellschaftspolitische Überzeugung weit verbreitet zu sein, die im Widerspruch zur Philosophie und Praxis in der Wirtschaft wahrgenommen wird: Dort, die "böse", egoistisch-ausbeutende Wirtschaft, hier der behütende, versorgende Sozialstaat. Wenn Supervisoren hiermit übereinstimmen würden, sich also als "Gutmenschen" definierten, wäre es kein Wunder, wenn sie deswegen auf Abwehr in der Wirtschaft stoßen würden.
Man könnte es auch einen "blinden Fleck" nennen. Doch unsere Autoren sind allerdings so pfiffig, die Entinstitutionalisierung als Begründung für den wachsenden Bedarf an Beratung zu begreifen. Denn die
Entinstitutionalisierung wird mit einer Hierarchiekrise in Verbindung gebracht: Hierarchien werden abgebaut, Teamarbeit wird neues Paradigma ,wird hier wieder einmal schwarz-weiß gemalt, indem die Auflösung der Organisation als fixes Gebilde konstatiert wird; das Kind also mit dem Bade ausgeschüttet wird. Natürlich ist es nicht so, dass es heute keine Hierarchien mehr gibt. Allerdings war der organisationale Wandel für die Wirtschaft zwar eine Herausforderung, aber kein Problem, weil man immer schon Führung praktiziert hat. Anders war dies im Non-Profit-Sektor. Dort versuchte man in den vergangenen Dekaden der herrschenden krassen Hierarchie ein der Gruppendynamik entlehntes "Anything Goes" entgegen zu setzen. Was natürlich scheitern musste, und zwar, weil man kein professionelles Konzept von Führung hatte. "Sozial engagierte Menschen neigen dazu, aus ihrer besonderen Identifikation mit den Schwachen und Benachteiligten in unserer Gesellschaft allen (!) Formen der Machtausübung grundsätzlich kritisch oder negativ zu begegnen", schrieben Paula Lotmar und Edmond Tondeur schon 1994 in ihrem Buch
"Führen in sozialen Organisationen".
Führung wird von unseren Autoren zwar immer wieder angesprochen, aber nicht wirklich konzeptioniert. Stattdessen führen sie die "Expertise des Nichtwissens" als Steuerungskompetenz ein und machen auf den Bedarf nach Supervision aufmerksam. Im nächsten Schritt kommt dann völlig unkritisch die "Führungskraft als Coach" ins Spiel. All dies, ohne auf die reichhaltige Forschung zur Psychologie der Führung seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts und neueste Konzepte wie
transformationale Führung zu verweisen. Auch der nötige Bezug zum systemischen Denken bleibt beiläufig und mehr als blass. So dass sich der Leser nicht des Eindrucks erwehren kann, bei der benannten Expertise des Nichtwissens könnte es sich durchaus um eine Inkompetenzkompensationskompetenz handeln.
Das fünfte Kapitel behandelt psychotherapeutische Schulen in ihrem Bezug zur Supervision. Hier stehen vor allem psychoanalytische Konzepte und deren Nutzen im Vordergrund. Die Ausführungen zum systemischen Denken sind wenig hilfreich. Im sechsten Kapitel stehen die ethische und politische Dimension in der Beratung im Vordergrund. Dabei wird heraus gearbeitet, dass die Beratung immer schon ethische und politische Funktionen habe, weil sie per se kritisch sei, also den Status quo in Frage stelle. - Doch genau jenes vermisst der Leser in diesem Buch.
Im siebten Kapitel, das sich der Identität als thematischer Herausforderung für Supervision und Coaching widmet, kommt es nun knüppeldick für den Leser: Er wird - unter Berufung auf die Sozialpsychologie - mit der gänzlichen Auflösung bewährter Identitätsmuster und der Bastelbiografie konfrontiert; was arg weh tut. Und was man im vierten Kapitel schon geahnt hat, wird nun offenbar: Die Gewährsleute für die These lauten
Sigmund Freud (Das Unbehagen in der Kultur), Herbert Marcuse (Der Eindimensionale
Mensch
) Adorno/Horkheimer, Sennett - also der ganze Katalog sozialromantisch-spekulativer 68er-Literatur, nichts, was man ernst nehmen müsste, aber diese antiquierte ideologische Kapitalismuskritik ist ein Schmarrn in einem Lehrbuch für Supervisoren, Coachs und Organisationsberater. Kein Wunder, dass Berater, die derart mental gestrickt sind, so ihre Probleme mit der Wirtschaft haben - und diese mit ihnen. Und das, also der nichtideologische Ansatz, unterscheidet wiederum auch die erfolgreichen Coachs und Organisationsberater von jenen supervidierenden Sozialarbeitern.
Das letzte, achte Kapitel zu Geschlecht(-erverhältnissen) und Genderkompetenz wirkt wie ein zufällig hinzugefügter Appendix, der kaum Bezüge zu den anderen Buchteilen, aber auch wenig Neues, Handlungsrelevantes entfaltet. Ein Literatur-, Personen und Stichwortverzeichnis beschließen diesen Band, der alles in allem sehr enttäuscht. Dass dieses Buch einen Stellenwert als Lehrbuch erlangen könnte, ist schwer vorstellbar. Es hat einen starken Bekenntnischarakter, der durch einen spekulativen, feuilletonistischen, streckenweise dialektischen und leider auch pejorativen Duktus geprägt ist. Der Bezug zu relevanten Quellen und zur Scientific Community wird nicht deutlich. Aber auch der Praxisbezug fehlt weitgehend. Es gibt kaum etwas zu lernen oder für den beraterischen Alltag mitzunehmen. Das schlichte Fazit: überflüssig.
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