Cover: Black-Box Beratung? Empirische Studien zu Coaching und Supervision. Wiesbaden: VS.
Karolina Galdynski, Stefan Kühl

Black-Box Beratung? Empirische Studien zu Coaching und Supervision. Wiesbaden: VS.

Rezension von Thomas Webers

6 Min.

Was findet in Coaching- und Supervisionssitzungen statt? Dieser Sammelband hat es sich zur Aufgabe gemacht, Licht ins Dunkel der "Black Box Beratung" zu bringen. Wer denkt da nicht an die Aufklärung, an den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit (Kant)? Oder an die "kognitive Wende" in der Psychologie, die den klassischen Behaviorismus überwandt und der Black Box mit der Organismusvariablen zu Leibe rückte... Denn es ist ja nicht so, als ob es nicht schon empirische Studien zu Coaching und Supervision geben würde: Hier wären beispielsweise die von Hansjörg Künzli (2005; 2009) oder das bahnbrechende Werk von Siegfried Greif (2008) zu nennen. Alles psychologische Arbeiten, aber es fehlte bislang noch ein soziologisches Pendant.
Das zu liefern hat Stefan Kühl, der Bielefelder Soziologie-Professor, ein Lehrforschungsprojekt aufgesetzt. Kernelement dessen war die Analyse von Beratungsgesprächen. Man wollte "verborgene, latente Strukturen in den Beratungs-Settings" rekonstruieren, um "genauer auszuleuchten, was in den Beratungen überhaupt stattfindet" (S. 8). Ausgewählte Beiträge aus diesem Projekt - mehr dazu findet man auf www.coaching-funktionen.de - werden in diesem Buch vorgestellt. Das Buch gliedert sich in vier Teile, denen das Vorwort von Stefan Kühl und die Einleitung von Karolina Galdynski zur Kontextualisierung vorgeschaltet sind.
"Ziel dieses Buches soll es daher sein, gegen dominierende Selbstbeschreibungen von Supervisoren und Coachs eine distanzierte soziologische Forschungsperspektive bzw. Fremdbeschreibung zu entwickeln", gibt Galdynski als Motto aus. Ausgangspunkt ist für sie die Diagnose der "Verbetrieblichung der Lebensführung". Pongratz & Voß lassen grüßen. Und Sennett mit seinem schrägen, ahistorisch argumentierenden Werk "Der flexible Mensch". Und genau in diese Kerbe haut auch die Herausgeberin: "Warum hat personenorientierte Beratung in Organisationen erst in den letzten zwanzig Jahren eine solche Popularität erlangt, wenn diese Entwicklung doch schon seit über 150 Jahren prominent ist?" Gute Frage, schlechte Antwort: "Eine wichtige Rolle für die Popularität von Supervision und Coaching spielt der in den letzten zwanzig Jahren einsetzende Boom von Personaldiagnostikinstrumenten." Das ist einfach falsch. Die Personaldiagnostik hat schon, versenkt man sich einmal genauer in die hundertjährige Geschichte der Arbeitspsychologie, in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Boom erlebt. Es lohnt auch, einmal 150 Jahre zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu gehen, die Herausgeberin tut es aber nicht. Ebenso würde es sich lohnen, einmal die Konstellationen der letzten Dekaden auszuleuchten, um zu ermessen, warum plötzlich Mitte der 80er Jahre Coaching aufkommt; da man muss doch sicher nicht Marx zu den Soziologen tragen...
Ein weiterer Argumentationsstrang stellt die Professionalisierung dar. Hier greift Galdynski die Kühlsche Figur auf: den engeren und weiteren Professionalisierungsbegriff. Im ersten Fall definiert eine Zunft selber oder der Gesetzgeber, wer zu Profession zählt. Im zweiten - schlechteren - Fall entscheidet der Markt. Dann wären Coaching und Supervision keine "richtigen" Professionen. Kein Wort darüber, dass die Luhmannsche Funktionale Differenzierung längst - wie sollen wir sagen? - übers Ziel hinaus geschossen oder als Pendel zurückgeschlagen (?) ist, sich die klassischen Professionen mindestens in der Diskussion sehen (das Monopol der Schornsteinfeger), wenn nicht sogar schon auflösen (Bachelor/Master) - Deprofessionalisierung nennt das die Zunft doch selber. Man wundert sich als Leser einfach nur, dass hier trotzdem am Konzept festgehalten wird.
Und dann folgt noch das Diktum des Technologiedefizits. "Weil letztlich keine erfolgsgarantierenden Regeln für die Durchführung der Intervention bestehen". Nun, da kommt es wohl darauf an, was man unter "Technologie" verstehen mag. Auch dazu könnte man in einen fruchtbaren Streit ausbrechen (Heidegger, Jaspers, Gadamer…). Es bleibt aber bloß bei, dieses Defizit zu konzedieren.
Im ersten Teil "Empirische Studien zur Popularität einer Beratungsform" finden wir die Printmedienanalyse von Andreas Taffersthofer (der Coaching-Boom wurde von den Coachs selber gemacht) sowie den Beitrag "Die nur fast gelingende Schließung des Personalentwicklungszyklus" von Stefan Kühl (Coaching als Kettenglied in der Rundumbetreuung der Mitarbeiter) vor; beide Beiträge wurden schon in OSC 2/08 veröffentlicht. Teil II ist mit "Schwierigkeiten der Professionsbildung" überschrieben. Karolina Galdynski stellt hier eine interessante These auf: Supervision fühlt sich dem Gemeinwohl gegenüber verpflichtet, Coaching gibt diesen Anspruch auf. Und sie fragt weiter, "ob aufgrund der permanenten ‚Change Prozesse‘ in der Gesellschaft Beratungen - in verschiedenen Lebensbereichen - zunehmend an Normalität gewinnen"?
Teil III fragt nun, was in der Black Box, der Beratungsinteraktion, stattfindet. Drei Beiträge "Supervisoren als Schauspieler", "Von der Methodik der Psychotherapie in der supervisorischen Praxis" und "Personenorientierte Beratung über mehrere hierarchische Ebenen" finden sich hier, beginnen wir mit dem ersten: Was soll so schlimm an der "Kompetenzdarstellungskompetenz" sein? Sind wir nicht alle Rollenspieler (Moreno und das Psychodrama)? Und ist das nicht auch gut so? Warum hat gerade die Soziologie ein Problem damit? Der Philosoph Odo Marquardt hat schon viel früher auf die Inkompetenzkompensationskompetenz hingewiesen, möchte man sticheln, auch in der Sozialpsychologie ist das Impression Management nicht nur bekannt, sondern auch empirisch erforscht worden. All das muss man nun nicht defizitär werten, wie hier geschehen.
Als Königsweg der soziologischen Analyse wird durchweg die Methode der "objektiven Hermeneutik (Ulrich Oevermann) vorgestellt und jeweils an einer Hand voll Interviews exemplifiziert. Dass diese Methode nun doch eher subjektiv ist, wie in der Kritik immer wieder betont wird, kann man an den Darlegungen dieser Kapitel immer wieder entnehmen (nach dem Motto, reim‘ Dich oder ich fress‘ Dich, wird, wo simples aktives Zuhören vorgetragen wird bspw. Psychoanalyse vermutet). Es wird auch bedenkenlos von Einzelfällen auf die Allgemeinheit generalisiert, dass man sich wirklich wundern muss (Sigmund Freud hat sich dafür immerhin noch einige hundert Seiten Raum genommen). Manche Kapitel sind eigentlich auch nur theoretische Essays, die mit Zitaten aus wenigen, bspw. drei Interviews garniert werden. Das überzeugt den Nicht-Soziologen nicht. Die teilweise wirklich interessanten, anregenden Thesen werden so desavouiert.
Auch der Beitrag, der Beratung über mehrere Hierarchieebenen hinweg thematisiert, irritiert eher. Alle vorgetragenen Kontra-Argumente lassen sich problemlos auf alle möglichen anderen Beratungssettings übertragen, und sind damit für den (Sünden-) Fall nicht zwingend. Und komisch, dass "zufälligerweise" ein Fall berichtet wird, in dem es um den Bruch der Schweigepflicht geht. Wieder ein Einzelfall, von dem generalisiert wird.
Teil IV handelt von der Evaluation. Hier wird das Kühlsche Dilemma (in Anschluss an Brunsson) von Lernen und Legitimation aufgegriffen. Legitimationserfordernisse und betriebliche Anforderungen werden in der Praxis gerne (zeitlich) entkoppelt, was man auch "Heuchelei" nennen könnte: Alle reden davon, aber keiner führt die Evaluation ernsthaft durch. So bleibt es lediglich bei der "Kummerkastenfunktion". Ein genialer Gedanke, neoinstitutionalistisch inspiriert. Doch auch dieser Beitrag wird nur an wenigen Stellen durch passende (?) Zitate garniert und bleibt so empirisch erst noch abzuklären.
Es muss festgehalten werden: Dieser Band liefert ein Bündel wirklich interessanter Thesen, die diskussionswürdig und heuristisch wertvoll sind. Leider erscheint das methodische Design - vielleicht nur für der Soziologie nicht Nahestehende? - fragwürdig und die Ergebnisse unzureichend. Und das ist schade. Das Buch wird insgesamt eher Wissenschaftler ansprechen, weniger die Praktiker. Als Leser wünscht man sich nun eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, so dunkel ist es in der "Kiste" doch gar nicht.
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