Cover: Change Talk – Coachen lernen! Coaching-Können bis zur Meisterschaft. Paderborn: Junfermann.
Martina Schmidt-Tanger, Thies Stahl

Change Talk – Coachen lernen! Coaching-Können bis zur Meisterschaft. Paderborn: Junfermann.

Rezension von Dr. Klaus Stulle

5 Min.

Bücher zum Thema "Coaching" gibt es bereits stapelweise, auch die Teilmenge der "Lehrbücher mit Coaching-Tipps" ist mittlerweile reichlich bemessen. Doch das hier besprochene Werk ragt aus dieser Reihe deutlich heraus. Schließlich handelt es sich nicht um ein Buch, sondern um einen Karteikasten, etwa im DIN à 5-Format mit insgesamt 303 Einzelkarten, reichlich bedruckt auf Vorder- und Rückseite.

Dabei unterscheidet sich der Inhalt der Karten zunächst nur unwesentlich von den schon angesprochenen "handelsüblichen" Büchern: Es geht um Grundsätzliches wie die Unterscheidung zwischen "Teaching", "Consulting" und "Coaching", um die erforderlichen Freiheiten des professionellen Coachs, um Details wie etwa die Sitzordnung bis hin zu Basis-Techniken wie Akzeptanz, Sinnesmodalitäten oder aktivem Zuhören.
Die dreißig folgenden Karten beschäftigen sich mit Fragetechniken, jeweils eine Technik pro Karte zu Themen wie "Auf interne/externe Ressourcen fokussieren", "paradoxe Fragen" oder "Klärende Wiederholung/Konkretisierung". Noch umfangreicher ist der Abschnitt "Emotionale Beteiligung steuern" mit Prozessen wie "Betriebstemperatur erstellen", "Verlangsamen/Aushalten", "Wunderfrage" oder "In unterschiedliche Rollen schlüpfen". Neben dem "Was?" des Gefragten wird im Block C das "Wie?", nämlich die verwendete Sprache, thematisiert mit Hinweisen zu "Akzeptieren Sie keine festen Diagnosen oder Etikettierungen", "Präzisieren und hinterfragen Sie Aussagen" oder "Bringen Sie den Klienten ins Handeln".
Der Fortgeschrittenen-Block mit weiteren 20 Karteikarten stellt dann etwas anspruchsvollere, unorthodoxere Interventionen vor, welche angewendet werden können, aber nicht müssen wie "Übergeordnete Themen, Motive finden", "Fokuswechsel zwischen Inhalt und Prozess" oder "Mit Hausaufgaben arbeiten" (wobei hier bewusst die selbsterklärenderen Überschriften zitiert wurden, andere Techniken sind weniger bekannt und innovativer).
Die letzten zwei Abschnitte stellen dann wieder eher konventionelle Methoden vor, die aber ihre unbestrittene Berechtigung haben wie "Genogrammarbeit", "Technik des leeren Stuhls" oder "Glaubenssätze". Ein stärker theoretisch ausgerichteter Abschlussblock samt Literaturangaben rundet die Gesamtsammlung ab.
Wie ist das Gesamtopus zu bewerten? Durchweg positiv! Der Inhalt vieler dieser Karten wird sicherlich auch schon zuvor in etlichen Büchern formuliert worden sein, und schließlich hat die Buchdruckkunst ja schon lange erfolgreich die Papyrus-Rolle abgelöst. Aber das Medium "Karte" bietet gegenüber dem Buch unübersehbare Praxisvorteile: Ganz im Sinne der NLP-Gemeinde, die ja seit Jahr und Tag auf die Bedeutung der verschiedenen Sinneskanäle hinweist, bieten die Karten einen stärkeren haptischen Vorzug. Sie lassen sich umstecken, gut sortieren und auf das Wesentliche reduzieren. Auch die Verwendung von Vor- und Rückseite bietet Vorteile, insbesondere bei den zahlreichen Übungsvorschlägen.
Die einzelnen Seiten sind zudem allesamt anschaulich und gut strukturiert aufbereitet, bunt, ohne knallig oder überladen zu wirken, auch die Farbe als Sinneseindruck wurde angemessen genutzt. Das Gesagte wird gut verständlich vermittelt. Es zeigt sich, dass die verwendeten Beispiele - wie so oft - intuitiver zu verstehen sind als die damit verbundenen Konzepte/Theorien, doch durch die übersichtliche Darstellungsform ergänzen sich beide ohnehin. Neben dem Coaching-Basis-Wissen werden durchaus auch anspruchsvollere Techniken vermittelt, wobei dies herrlich unideologisch erfolgt. So kann der Text als gutes Beispiel dafür verstanden werden, dass sich systemische Ansätze und NLP keineswegs ausschließen, sondern sich vielmehr gegenseitig ergänzen und befruchten. Erfreulicherweise reicht der Platz dann aber nicht mehr für Grundsatzdebatten zur Frage nach der "richtigen Coaching-Schule", insoweit hat der Pragmatismus unübersehbar Vorrang.
Inhaltlich werden vielleicht sehr belesene Coachs spektakuläre Neuigkeiten vermissen. Aber selbst erfahrene Berater können hierbei von der Erinnerungswirkung der verschiedenen Karten gut profitieren, indem sie sich die ein oder andere Technik ins Gedächtnis zurückrufen und diese dezent bei nächster Gelegenheit zur Anwendung bringen.
Ebenso wenig wie die entsprechenden Bücher ersetzt ein solcher Karteikasten die gewissenhafte Ausbildung zum Coach. Aber auch der Erwerb eines Werkzeugkastens allein macht noch keinen Facharbeiter. Nur ist es wahrscheinlicher, mit einer gut sortierten und aufgeräumten Toolbox gute Arbeit liefern zu können, als wenn erst alle einzelnen Werkzeuge mühsam zusammengesucht werden müssen. In diesem Sinne nimmt die hier besprochene Kartensammlung dem Leser, vielmehr dem Anwender, eine Menge Arbeit ab. Und der Rezensent erinnerte sich bei der Lektüre an die Studententage, an denen sich Karteikarten als Lernform nach oft übermäßiger Buchlektüre überzeugend bewährt hatten (von den hilfreichen Pfuschzetteln bei der Mathearbeit ganz zu schweigen…).
Ich werde die "Change Talk"-Karten mit Sicherheit bei Bedarf konsultieren. Ich kann diese Sammlung ruhigen Gewissens auch einer recht breiten Zielgruppe empfehlen, die sich ernsthaft für das Thema "Coaching" interessieren, vom Novizen bis zum/r echten Fachmann/-frau. Für Coachees oder "Besucher" (im Sinne Steve de Shazers) dürfte ein guter Teil des Inhalts aber zu viele Voraussetzungen erfordern.
Ich werde dem Opus auch gern eine exponierte Stelle im Bücherregal zuweisen, was auch in vielen Coaching-Räumen dekorativ wirken dürfte. Ich denke dabei an die Arztpraxis, wo üblicherweise auch diverse repräsentative Bücher vorhanden sind. Allerdings sollte der erfolgreiche Coach wie der Arzt auf keinen Fall sich während der Behandlung dort kundig machen, dies steigert nicht unbedingt das Vertrauen in seine Meisterschaft…

Dr. Klaus Stulle

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