Der Titel des Buches macht neugierig und nachdenklich zugleich. Denn bisher galt es weitgehend als eine allgemein akzeptierte Selbstverständlichkeit, dass Coaching eine Aufgabe für Coachs ist und dass diese höchst anspruchsvoll ist. Nicht ohne Grund haben sich deshalb die Coaching-Verbände für die Qualitätssicherung von Coaching-Ausbildungen stark gemacht und bemühen sich - z.B. mit Blick auf die Schweiz - darum, Coaching als eine Profession zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund macht der Vorschlag, dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden coachen sollen, hellhörig und provoziert Kritik. Sie wird in zwei Varianten vorgetragen: Die erste setzt voraus, dass die in der Regel zu konstatierende mangelnde Coaching-Qualifikation von Führungskräften durch die erfolgreiche Teilnahme an hinreichend anspruchsvollen Coachings zwar entkräftet werden kann, nicht jedoch das Argument, dass genau damit der von vielen - bzw. den meisten - Coachs intendierten Etablierung der Berufsständigkeit von Coaching diametral entgegengewirkt wird. Als zweiter Kritikpunkt wird angeführt, dass Führungskräfte - auch bei bester Qualifikation - aus strukturellen Gründen nicht Coachs ihrer Mitarbeitenden sein sollten, und zwar deshalb, weil Führungskräfte, wenn sie loyal sein wollen, ihre eigenen Interessen an denjenigen ihrer Organisation ausrichten müssen und deshalb ganz grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, ihre Mitarbeitenden ohne Eigeninteressen beraten zu können. In der Konsequenz bedeutet das: Eine Führungskraft, die sich über die Grenze hinwegsetzt, pervertiert Coaching.
Diese Kritik ist nicht ohne Gegenrede geblieben. Sie überzeugt vor allem dadurch, dass sie jener Kritik einschränkungslos zustimmt und gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass Coaching nicht zwingend als ein Setting, sondern auch als eine Methode - oder genauer gesagt: als ein Methodenensemble oder als eine Toolbox - verstanden werden kann, die es durchaus als sinnvoll erscheinen lässt, dass sich Führungskräfte selektiv bedienen und, wie es bei Renate und Ulrich Dehner im Titel ihres Buches heißt, "Coaching als Führungsinstrument" nutzen.
Beim Lesen des Buchs wird dann aber - leider - schnell deutlich, dass die Autoren den Chef als Coach im Auge haben und sich damit, wie ich meine, auf sehr "dünnes Eis" wagen. Denn ihnen ist durchaus klar, dass Führungskräfte in Organisationsziele eingebunden sind und in diesem Rahmen eigene - und eben auch eigennützige - Ziele verfolgen. In diesem Sinne konzedieren die Autoren mit Blick auf die Ziele des Coachings, das der Vorgesetzte mit seinem Mitarbeiter führt: "Für die Zielfindung bedeutet das, dass ein Vorgesetzter in diesem Punkt niemals so neutral sein kann wie ein externer Coach." (S. 92) Die Konsequenz dieser richtigen und wichtigen Erkenntnis, die die Autoren im Folgenden auch nicht in Frage stellen oder relativieren, hätte meines Erachtens sein müssen, den Gedanken, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden coachen können und sollen, endgültig zu begraben und statt dessen genau zu ermitteln, unter welchen Bedingungen oder in welchen Situationen und mit welchem Ziel welche Coaching-Methoden geeignet sind, das Führungsverhalten von Vorgesetzten sinnvoll anzureichern. Dazu aber konnten sich die Autoren nicht entschließen.
Mit dieser Position bringen sich die Autoren in eine schwierige, um nicht zu sagen aussichtslose Argumentationssituation. Besonders deutlich wird das an ihren Ausführungen zum Vertrauen zwischen Vorgesetztem/Coach und Mitarbeiter. Denn angesichts der Tatsache, dass es zu den grundlegenden Aufgaben einer jeden Führungskraft gehört, wirkt es schon etwas realitätsfremd, wenn die Autoren mehrfach betonen, dass absolute Diskretion des Vorgesetzten eine unabdingbare Voraussetzung für jede Form von Coaching ist (S. 28f. und 49).
Die Konsequenzen dieses "Geburtsfehlers" zeigen sich besonders deutlich in den Vorstellungen der Autoren, wie eine erste solche Coaching-Sitzung aufgebaut sein sollte. Denn ihre Empfehlung ist: "Um zu gemeinsamen Zielen kommen zu können, muss zunächst einmal Klarheit über den Ist-Zustand herrschen. Dazu sollten Sie als Führungskraft dem Mitarbeiter unter Umständen noch einmal ausführlich den Grund für das Coaching nennen und ihm ein detailliertes Feedback geben." (S. 97) Damit wird klar: Derjenige, der das Coaching im Wesentlichen initiiert, ist nicht der Mitarbeiter, sondern die Führungskraft, - und die Gründe, die ihn dazu veranlassen, - das wird im Kapitel "Problemanalyse (S. 113-138) deutlich - sind Auffälligkeiten, die der Vorgesetzte - und nicht unbedingt auch der Mitarbeiter - als Mitarbeiterprobleme kategorisiert.
Blendet man die Problematik dieser Rahmenkonzeption aus, öffnet sich der Blick für die anerkennenswerten Leistungen des Buches. Sie bestehen vor allem in einer auch für Laien gut verständlichen Darstellung der Transaktionsanalyse, die für die Autoren die psychologische Grundlage von Coaching ist, und einer Reihe von praktischen Tipps der Problemanalyse, der Intervention und im Umgang mit Konflikten. Aber auch hier ist Achtsamkeit geboten, denn manche Empfehlung setzt professionelle Kompetenzen voraus, die man von Führungskräften in der Regel nicht erwarten kann. Das gilt zum Beispiel für die Interventionstechnik des "Extrem-Trainings" (S.161-163), also des Trainings von Verhaltensweisen, die der Klient meidet, weil sie nicht zu seinen Werten oder seinem Selbstbild passen, mit der Folge, dass das Verhaltensrepertoire entsprechend eng ist. Ein solches Training ist eine Intervention, die in der Regel Tiefenschichten der Persönlichkeit berühren und deshalb fundierte psychotherapeutische Kompetenzen voraussetzen.