Cover: Coaching als Methode des Organisationslernens. Bergisch-Gladbach: EHP.
Peter Höher

Coaching als Methode des Organisationslernens. Bergisch-Gladbach: EHP.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

In der Praxis wie in der theoretischen Diskussion wird Coaching überwiegend als Einzel-Coaching im Sinne einer personorientierten, individuellen, hochwirksamen Beratungsform definiert. Versteht man allerdings Coaching darüber hinausgehend als in verschiedenen Varianten mögliches Beratungssetting, geht man sogar noch einen Schritt weiter und lädt andere, bislang schon übliche und etablierte Lern- und Veränderungsformate mit der Coaching-Philosophie auf, kommt man zu einem coaching-basierten Change-Ansatz. Andererseits - von der klassischen Change-Ansatz her kommend - liegt es ebenso nahe, Coaching als ein Design-Element in übergreifende Veränderungsarchitekturen mit aufzunehmen und diese damit wirksamer zu machen. Coaching kann folglich, dem Ansatz von Königswieser und Hillebrand folgend, sowohl Tool als auch Design als auch die Architektur von Veränderung auszeichnende Philosophie sein. - Ein weites Feld, in dem man sich wahrlich tummeln, aber auch verlaufen kann.

Peter Höher durchstreift das Feld mit großer Selbstverständlichkeit, Liebe zum Detail und großen Plänen. Denn dieses Buch stellt seine Dissertation am Fachbereich Pädagogik der Universität der Bundeswehr in Hamburg (Professor Dr. Harald Geißler) dar. Auf den über 400 Seiten erfährt der Leser so einiges: Über das Beratungsverständnis des Autors, der unter anderem einige Zeit für die Beratungscompany Kienbaum gearbeitet hat, seit einigen Jahren aber seine eigenen Wege geht. Über den gegenwärtigen Stand der Forschung zum Thema Coaching und welche zusammenfassende Schlüsse der Autor daraus für Coaching als pädagogische Intervention zieht. Da hat der Leser schon einmal die ersten 100 Seiten hinter sich gebracht. Wer sich einigermaßen im Bereich Coaching auskennt, kann sich diesen Part, der unter anderem den akademischen Etiketten geschuldet ist, getrost sparen. Für weniger im Thema eingearbeitete Leser stellt dieser Part aber auch ein guter Überblick dar.

Neueres und auch den anspruchsvollen Leser Anregendes bietet das fünfte Kapitel über Coaching im Kontext der (Re-) Konstruktion personaler und organisationaler Identität. Hier wird Bezug auf die neueren Erkenntnisse der Neurobiologie genommen, insbesondere auf die Rolle der Emotionen. Wenn Coaching unter anderem als eine Form der Selbstreflexion betrachtet wird, ist es natürlich delikat, sich darüber klar zu werden, was denn da genau sich selbst reflektiert. Für die moderne Neurobiologie ist der Verstand ja schon lange nicht mehr der "Herr im Hause", für den man ihn seit Rene Descartes gehalten hat. Höher belässt es damit aber nicht, sondern ergänzt seine Darstellung mit Bezugnahme auf Konzepte der systemischen Theorie, des NLP oder des lösungsorientierten Ansatzes. Auch soziologische Quellen wie die Systemtheorie Dirk Baeckers finden Beachtung, des weiteren werden etliche Organisationsbilder (Metaphern) diskutiert, so dass sich der Leser alsbald in einem symphonischen (vielleicht auch ein wenig eklektisch eigensinnigen) Konzert erlebt. Coaching, so resümiert der Autor, wird zum paradoxen Versuch, nicht steuerbare Prozesse in sich selbst steuernden, lernenden Systemen doch noch zieldienlich zu beeinflussen - womit er Führung vergleichbar werde.

Im sechsten Kapitel wird organisationales Lernen als Bezugspunkt für Coaching betrachtet. Wieder erfolgt, wie schon in der Darstellung zu Coaching, ein Parforce-Ritt durch die Theorienlandschaft mit all seinen Verästelungen, Dopplungen und facettenartigen Beschränkungen. Wie hatte schon Kurt Lewin gesagt: Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie! Aber leider hatte er dabei verschwiegen, dass die Praxis so vielfältig und multidisziplinär ist... Solche Theorieüberblicke lassen den Leser in der Regel entweder verwirrt, weil nicht homogen, oder unzufrieden zurück, da Stückwerk und mangelnde Kompatibilität wahrgenommen wird. Auch Autor Höher liefert an dieser Stelle kein bewertendes Fazit, sondern bezieht sich im Folgenden je nach Lage auf einzelne Modelle oder Konzepte.

Nach nunmehr 200 Seiten beginnt nun Teil 2 des Buchs: Es wird ausführlich ein coaching-basierter Change-Prozess in einer Bank über mehrere Jahre hinweg dargestellt. Dem Leser wird begreiflich, wie nach einer Fusion aus wenigen Change-Workshops und anschließenden Coachings mit der Zeit eine gewaltige Change-Architektur entstand. Eine Fülle von Change-Designelementen werden eingesetzt, oftmals auch unterbrochen von kurzen theoretischen Inputs, beispielsweise um en passant das Teamrollenmodell von Belbin oder andere Konzepte zu erklären.

Speziell Coaching betreffend werden neben dem Einzel-Coaching auch Shadowing, also die Begleitung (teilnehmende Beobachtung) von Klienten im Alltag, oder Cross-Coachings (eine Führungskraft coacht Mitarbeiter einer anderen Führungskraft einer anderen Abteilung) durchgeführt. Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, der Autor hatte in diesem Unternehmen die Möglichkeit, sich einmal "so richtig austoben" zu können. Man könnte glatt auf die Idee kommen, einmal eine Tabelle aller Varianten und Kombinationen aufzustellen um zu schauen, ob er nicht doch etwas vergessen haben sollte... Auch Coaching-Ausbildungen und coaching-basierte Führungskräfteentwicklungen fanden noch statt.

All das wird nun abschließend bewertet und kritisch diskutiert. Coaching, so der Autor, erweist sich hier als eine kulturspezifische Arbeit an der sozialen Konstruktion individueller, kollektiver und organisationaler Identität - und als pädagogische Intervention und Interaktion.

Für Praktiker ist dieses Buch keine leichte Kost, sondern "ein ziemlich dickes Brett"; wiewohl sich eine Fülle an Umsetzungsideen und damit wertvollen Anregungen finden lassen. Eher akademisch vorgeprägte Leser werden vielleicht den empirisch-evaluativen Aspekt gegenüber dem pragmatischen zu kurz gekommen sehen. Wiewohl dem Autor der unbestrittene Verdienst zukommt, hier einmal einen wirklich umfangreichen Change-Prozess dargestellt und systematisch diskutiert zu haben. Und natürlich bleiben da noch Fragen offen für die nächsten Forschergenerationen.

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