Dieses Buch möchte ein "Entwicklungsroman" sein, kein trockenes Fachbuch. Und in der Tat vermisst der wissbegierige Leser in diesem Buch all das, was ein trockenes - "richtiges" - Fachbuch ausmacht: Ein Literatur-, vielleicht auch ein Personenverzeichnis beispielsweise, Fußnoten und statistische Tabellen sowie eine Sprache, die eher distanziert ist, referiert, Quellen und Lehrmeinungen diskutiert
Und doch ist dieses Buch mitnichten mit diesen dünnen "Tütensuppen" der Ratgeber-Literatur zu vergleichen - es strotzt hingegen nur so vor Impact.
Ob es auch ein guter Roman ist? Nun, der Rezensent erinnert sich - neben all der Fachliteratur - durchaus packende Romane gelesen zu haben. Mit diesen kann dieses Büchlein schwer mithalten. Und doch zeigt es - durchaus spannend und manchmal auch kurzweilig unterhaltend - eine Entwicklung, eine Geschichte auf: Es ist die eines Coachs, der plötzlich mit einem Klienten konfrontiert wird, der am Burnout-Syndrom leidet. Da fragt sich der Coach - zurecht, ob er da helfen kann, soll, wenn ja, wie, wo die Grenzen seiner Kunst liegen. Mit diesen Zweifeln wird der Leser konfrontiert, stutzt, reibt sich vielleicht die Augen, weil er vielleicht "Rezepte" erwartet hatte, und gerät unversehens hinein in diesen Roman, indem er sich selbst jene Fragen stellt und sich mit der Sache beschäftigt, auseinandersetzt - und auf eine Lernreise mitgenommen wird.
Und dies ist absolut sympathisch an diesem Buch: Hier begegnet einem kein, dem Leben der Normalsterblichen entrückter Übermensch, Guru oder ein keine Widerrede duldender Besserwisser. Leider tritt jene Spezies im Coaching-Feld ja gehäuft auf. Nein, hier treffen wir auf Kollegen. Auf Menschen mit Stärken und Schwächen, die uns einladen zum "Lernen am Modell". Und wir lernen schnell, wie man unter Coachs lernt - eben nicht allein. Dass sich eine Supervisionsbeziehung des Protagonisten Nagy mit Tomaschek entwickelt, und dass diese noch erweitert wird durch den ins Setting eintretenden Psychotherapeuten Professor Dr. Wolfgang Lalouschek, all dies entfaltet sich wie selbstverständlich und zeigt uns, Kooperation gelingt unter Professionellen, ohne Futterneid und ohne die üblichen Platzhirschgebärden. Im Gegenteil, man achtet sich, hilft sich, wertschätzt sich - und lernt voneinander.
Und so auch die Leser: Alle Fachbegriffe werden in kleinen Textkästen am Rande erklärt. So erschließt sich beispielsweise die komplette systemische Klaviatur quasi en passent. Dito schaut man dem Coach bildlich gesprochen über die Schulter, wenn er sich die Hintergründe zum Burnout-Syndrom erarbeitet. Und dazu gehören natürlich auch weiterführende Themen wie Stress oder Salutogenese. Dazu werden auch wieder in Textkästen Auszüge aus Büchern gereicht; dass hier Literaturangaben oder weiterführende Hinweise im Text fehlen, muss nicht stören, kann aber anregen, sich selbst auf die Pirsch zu machen. Das Buch stimuliert also zum eigenständigen Weiterlernen.
Gerne würde man als Leser vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle, je nach eigenem Hintergrund, sich einmal einschalten mit einem Tipp: "Nun, die Infos zum Thema Stress sind ja soweit ganz nett, aber ich empfehle Ihnen, sich doch einmal mit der ISO 100785 zu beschäftigen. Ich glaube, das bringt noch einmal einen klärenden Schritt weiter." Nun, wissen wir natürlich, dass ein Buch keinen Rückkanal hat, aber vielleicht lesen die Autoren ja Buchbesprechungen
Scherz beiseite, wer derart seine Herangehensweise offen legt, wer das Diskursive pflegt, warum soll der nicht offen sein für Input aus dem Kreis der Leserinnen und Leser? Dafür würde man natürlich ein anderes Medium benötigen. Natürlich ist dieses Buch auch so etwas wie eine Werbebroschüre. Hinweise zum Wiener Institut für Burnout und Stressmanagement (IBOS), an dem die Autoren tätig sind, zum Schluss des Buchs fehlen genauso wenig wie solche auf die Coaching-Aus- und Weiterbildungen der ebenfalls in Wien ansässigen Europäischen Ausbildungsakademie. Doch sind sie dezent gehalten.
Ist nun Coaching bei Burnout möglich? Ja, vielleicht sogar nötig, wenn auch nicht in den schweren Leidensphasen. Dort haben Psychotherapie und vielleicht sogar Psychiatrie den Lead. Und doch gibt es eine eigenständige Funktion von Coaching bei Burnout: nämlich den beruflichen Kontext betreffend. Diese Arbeitsteilung wird deutlich heraus gearbeitet.
Weil das Büchlein die Leser mit auf die Reise nimmt, eignet es sich ganz hervorragend nicht nur für Coachs, sondern auch für Personalverantwortliche, für (Arbeits-) mediziner und Psychotherapeuten. Selbst Betroffene in den frühen Phasen mögen von diesem Büchlein profitieren, wird doch das Vorgehen offen gelegt und damit auch für Betroffene deutlich, was im Coaching geschehen kann und was nicht - und was die Perspektiven wären, wenn man dem Schicksal einfach seinen Lauf lassen würde
Diesem Büchlein seien viele Leserinnen und Leser gewünscht.