Cover: Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. (2. Aufl.) Heidelberg: Springer Medizin.
Eric D. Lippmann

Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. (2. Aufl.) Heidelberg: Springer Medizin.

Rezension von Prof. Dr. Klaus Stulle

4 Min.

Ein Buch mit dem zunächst schlicht erscheinenden Titel "Coaching" setzt sich zwangsläufig der zahlreichen einschlägigen Konkurrenz zum gleichen Thema aus, auch wenn seine zweite Auflage im renommierten Springer-Verlag schon als erster Qualitätshinweis interpretiert werden kann. Der Buchdeckel hält die Zielgruppe der Leserschaft noch recht weit offen: Hier wird das Buch sowohl an die enger gefasste Gruppe der Coachs als auch an die weitere der Klienten adressiert und zwar ausdrücklich über Wirtschaftsunternehmen hinaus auch in Bereichen wie Politik und Schule. Doch bereits bei ersten Beschäftigung mit dem Werk wird deutlich, dass es sich unübersehbar um ein Buch von Fachleuten für Fachleute handelt. Zumindest dürften sich durch die Lektüre nur wenige Klienten angesprochen fühlen, mit Hilfe des Buches ihren Coaching-Prozess noch theoretisch zu reflektieren, dafür ist die Darstellung schlichtweg zu anspruchsvoll und detailliert ausgefallen.
Zum Inhalt: Im Geleitwort äußert Gunther Schmidt vom Milton-Erickson-Institut Heidelberg seine Zufriedenheit darüber, dass Coaching in den letzten Jahren sein "Schlappschwanz"-Image erfolgreich abgelegt und sich in der Personalarbeit etabliert hat. Gleichzeitig kritisiert er die inflationäre Verwendung dieses Begriffs - einschließlich mannigfaltiger Weiterbildungsangebote. Vor diesem Hintergrund ist in seinen Augen ein einschlägiges Standardwerk zum Thema wünschenswert, das als gängige Referenz dienen kann. Und genau dieses - ambitionierte (!) - Ziel soll das hier besprochene Werk nun erfüllen. Dazu beschreibt Prof. Lippmann von der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zunächst die Charakteristika von Coaching als Form professioneller Beratung, darin eingeschlossen typische Grundlagen wie "Kundentypen nach Steve deShazer" oder "Drei-/Vierecksvertrag" oder "Rollenklärung". An vielen Stellen wird dabei deutlich, dass der Darstellung eine klar systemische Sichtweise zugrunde liegt. Im Anschluss werden verschiedene Coaching-Settings illustriert, wobei der Autor zur Sonderform "Kollegiales Coaching/Intervision" bereits ein eigenes Buch (2. Auflage ebenfalls 2009) bei Springer veröffentlich hat.
Danach reicht Lippmann in seiner Rolle als Herausgeber die Feder weiter an andere, renommierte Fachleute im Thema, die ihrerseits verschiedene Zielgruppen für Einzel-Coaching wie Familienunternehmen, Projektleiter, Personaler oder Politiker getrennt voneinander darstellen. Besonders bemerkenswert ist dabei der Aufsatz von Uwe Böning, in dem die - durchaus gravierenden - Unterschiede zwischen Business-Coaching auf der mittleren Führungsebene gegenüber dem "Executive-Coaching" sehr plastisch herausarbeitet werden. Ebenfalls gelungen und "systemisch inspiriert" ist die Beschreibung des Coachings für Schulleiter von Jean-Luc Guyer unter der Verwendung der "Fluss-Metapher".
Der danach folgende Abschnitt beschäftigt sich mit speziellen Coaching-Anwendungsfeldern bzw. -Fragestellungen wie "Change", "Konflikt", "Krise", "Laufbahnentscheidung" oder "Betriebliche Bildung", ferner mit Themen wie "Coaching bei Freistellungen", "Interkulturelle oder geschlechtliche Aspekte beim Coaching" sowie "Ethische Fragen". Darüber hinaus werden noch als weitere Coaching-Trends, momentane Entwicklungen wie "Systematische Coaching-Evaluation" oder "Online-Coaching" dargestellt.
Mit nur 23 Seiten bei einem Gesamtumfang von knapp 400 ist das Kapitel zu "Methoden im Coaching" sehr knapp gehalten. Die Darstellung von Techniken wie "Aktives Zuhören", "Arbeiten mit Bildern", "Hausaufgaben", "innere Konferenz" oder "Tagebuch" ist eher glossarmäßig kurz ausgefallen und insofern kein Schwerpunkt dieses Buches. Dazu gibt es aber auch schon an anderen Stellen reichlich Literatur, auf die im Text konsequent Bezug auch genommen wird. Ebenso sind die konkreten Hilfestellungen zur Suche/Auswahl eines Coachs bzw. der Informationsquellen für potenzielle Coachs auf nur fünf Seiten eher als weitere Kurz-Ergänzung zu verstehen.
Wird das Buch damit letztlich dem selbst-gesteckten, ambitionierten Anspruch gerecht? Der Referent meint: Ja, durchaus! Auch wenn schon zuvor eine Menge Bücher zum Thema "Coaching" erschienen sind, kann dieses Werk als eine besonders gelungene Überblicksdarstellung für Experten oder aufgeschlossene Novizen mit Hintergrundkenntnissen dienen. Als "Schnupper- oder Nachttisch-Lektüre" eignet es sich allerdings nicht so sehr (auch vom Preis her betrachtet). Herauszuheben ist bei der Gesamtbetrachtung insbesondere die facettenreiche, umfassende Beschreibung diverser Coaching-Szenarien bzw. -Umgebungen.
Insgesamt geht das Buch thematisch mehr in die Breite als in die Tiefe, wobei trotz der vielen Einzel-Autoren (insgesamt immerhin 22 plus Herausgeber) unnötige Überlappungen und Wiederholungen erfolgreich vermieden werden. Hingegen ist das Werk zur Vermittlung von Coaching-Tools, möglicherweise dazu noch im Selbst-Studium, kaum geeignet. Von der Illustration her ist es mit regelmäßigen Kurzzusammenfassungen, plastischen Fallbeispielen und ausgezeichnet ausgewählten Cartoons sehr ansprechend aufbereitet. Auch die Sprache und der Satz (= Seitenaufbau und -gestaltung) sind sehr gelungen. Insgesamt hat der Rezensent damit einen "literarischen Freund" gefunden, den er gerne wieder bei passender Gelegenheit als hochwertige Referenz zu Rate ziehen wird.

Prof. Dr. Klaus Stulle

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