Cover: Coaching entwickeln. Forschung und Praxis im Dialog.
Robert H. Wegener, Agnès Fritze, Michael Loebbert

Coaching entwickeln. Forschung und Praxis im Dialog.

Rezension von Thomas Webers

4 Min.

Der erste internationale Coaching-Forschungskongress im deutschsprachigen Raum fand im Sommer letzten Jahres in Olten an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) statt. Zur Dokumentation und Bilanzierung dieses Kongresses unter dem Motto "Coaching meets Research" haben die Veranstalter die vorliegende Veröffentlichung herausgegeben. Das Buch gliedert sich in drei Teile, die von einer Einleitung und einem Autorenverzeichnis eingerahmt werden.
Der erste Teil ist mit "Perspektiven der Forschung" überschrieben. Dr. Beate Fietze bilanziert Chancen und Risiken der Coaching-Forschung aus professionssoziologischer Perspektive. Ihre These ist, dass aufgrund mangelndem Konsens der Coaching-Verbände die Unternehmen durch unter anderem Coach-Pools Definitionsmacht auszuüben versuchen, und dass hier die Wissenschaft als Regulativ auf den Plan tritt. Professor Dr. Siegfried Greif bereitet die wichtigsten Erkenntnisse aus der Coaching-Forschung für die Praxis auf. Sein Fazit ist, die Wirksamkeit von Coaching ist nachgewiesen, mehr Forschungsaktivitäten sind aber notwendig.
Weitere Beiträge in diesem Teil stammen von Dr. Martina Ukowitz (interdisziplinäre Praxeologie), Dr. Elaine Cox (qualitative Forschung), Bob Garvey (der Coach als Künstler) und David Drake (alethischer Eklektizismus). Mitveranstalter Dr. Michael Loebbert resümiert im diesen Teil abschließenden Kapitel, eine wertschätzende und ressourcenorientierte Haltung, die sich im Coaching bewährt hat, sei auf den Diskurs über Wissen im Coaching zu übertragen.
"Aktuelle Ansätze und Projekte" referiert der zweiten Teil: Elf Beiträge, von denen die Leser teilweise schon andernorts Kenntnis genommen haben, fügen sich hier zu einem Kaleidoskop der Forschungslandschaft. Hier fehlt es auch nicht an provokanten Spitzen wie der von Frank Bresser, der den deutschsprachigen Raum bezüglich Coaching als eine "nach innen gekehrte Insel" bezeichnet, der der Blick über den Tellerrand gut tue. Ein wichtiger Impuls stammt zudem von Martin Scherm und Stephan Scherer, die die Notwendigkeit eine Multiperspektivität für die Klärung des Coaching-Auftrags herausstellen. Mitveranstalter Dr. Michael Loebbert resümiert im diesen Teil abschließenden Kapitel, dass verschiedene Wissenschaftsdisziplinen in der Lage sind, Coaching theoretisch und praktisch weiterzubringen. Dazu sei allerdings - pragmatisch - Kooperation notwendig, um den Wirkungsgrad zu erhöhen.
Der dritte und letzte Teil handelt vom Blick zurück und in die Zukunft. Robert Wegener berichtet über eine Befragung von 65 zahlenden Kongressteilnehmern zu den Erwartungen an die Coaching-Forschung. Es verwundert nicht, dass 96 Prozent der Befragten vor dem Kongress der Coaching-Forschung gegenüber eher/sehr neugierig eingestellt - und gleichzeitig sehr/eher kritisch gestimmt (56%) waren. Die Forscher sind offensichtlich bereit, eigene Beiträge zuleisten. Und sie wurden nicht enttäuscht: 63 Prozent würden den Kongress weiterempfehlen. Interessant auch, dass 90 Prozent der Antwortenden selbst als Coachs tätig sind. Der Kongress als Hot Spot ...
Michael Loebbert, Agnès Fritze und Robert Wegener beschließen den Band mit einem Blick in die Zukunft: Themen fungieren als Knotenpunkte der Wissensorganisation und -entwicklung, zitieren sie Marvin Minsky, (Society of Mind, 1968). Diese Perspektive zeigt, Professionalisierung im Coaching ist keine Frage mehr, sondern eine (vorläufige) Antwort; die Attraktoren wirken längst. Und Coaching-Forschung steht als soziales Phänomen im Kontext von Professionalisierung immer in der Herausforderung von Deutung und Selbstdeutung. Im Coaching-Wissen geht es nicht länger um Fragen der Grundlegung, sondern um Reflexion und Dialog. Die Coaching-Praxis ist dabei längst schon vorlaufend.
Aber: Es verbleiben auch Desiderata: Was meint die oft beschorene Coaching-Haltung? Was die ebenfalls oft im Munde geführte Coaching-Kultur? Das Fazit erinnert den Rezensenten an ein Vorlesungsschlusswort eines seiner Professoren (in seinem "ersten" Leben): "Wir sind angetreten, offene Fragen zu lösen. Nun müssen wir anerkennen, wir haben viele Fragen beantwortet, aber noch mehr neue aufgeworfen."
Dieses Buch ist ein "gefundenes Fressen" für alle, die den Stumpfsinn der Tool-Books, der glänzenden Success-Stories und "30 Minuten für …" leid sind und die lechzen nach Fundierung, Diskurs, Widerspruch und Kritik. Sicher keine leichte Lektüre, aber eine, die sich lohnt. Kein Grund zur Resignation also: Im Sommer 2012 findet der nächste Kongress in Olten statt.
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