Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße. - Mit diesem animierenden Motto eröffnet die Autorin, bekannte Coach, Ausbilderin und Verlegerin aus Wien ihr neues Buch. Dass dieses Motto auch doppel- und mehrfachbedeutend gelesen werden kann, erschließt sich dem Leser erst allmählich.
Warum sollen Führungskräfte coachen? Diese Eingangsfrage beantwortet Radatz recht klar: es geht um bessere Führung. Tja, kommt prompt die Gegenfrage, können und dürfen Führungskräfte denn coachen? Sonja Radatz wehrt sich gegen eine digitale Antwort auf das Ob und fokussiert auf das Wie.Denn es kommt ihrer Meinung nicht nur auf die Coaching-Definition an, sondern auch auf die von Führung. Wenn Führen Delegieren meint, dann macht ihrer Meinung nach Coaching Sinn. Denn dann sind die Mitarbeiter für die Zielerreichung zuständig, aber frei in der Wahl des Wegs dorthin: Coaching als Beratung der Mitarbeiter.
Es wird schnell klar, die Autorin vertritt einen eher weitgefassten Coaching-Begriff. Coaching ist für sie eine systemische Haltung und Handlung. Kritiker werden hier einwenden, dann sei der Titel dieses Buchs nur ein Aufhänger zum besseren Verkaufen, schließlich erweitere sich damit die Käuferzielgruppe ernorm.
Weniger schulmeisterliche Zeitgenossen werden ihr hingegen Recht geben. Das Agieren im wirtschaftlichen Kontext erfordert heutzutage eine solche Rollenpluralität und damit auch Ambiguitätskompetenz, dass Führungskräfte, wollen sie ihren Job gut machen, einfach besseres Handwerkszeug brauchen als die Generationen zuvor, die glaubten, mit Ordre per Mufti wäre es getan. - Eine Sichtweise, der man sich sicher nicht verschließen kann.
Wie auch immer man diese Diskussion führen, beenden oder offen lassen mag, das Anliegen von Sonja Radatz ist offensichtlich, die Sozialkompetenz der Führungskräfte gehörig zu verbessern. Sie nennt es "evolutionäres Coaching". Und auch dieser Begriff ist wieder gewöhnungsbedürftig, bis man versteht, es geht ihr grundsätzlich um den Entwicklungsgedanken. Dazu gibt es auch eine
Abbildung im Buch, die der Rezensent nicht wirklich verstanden hat, was aber nicht weiter wichtig sein muss.
Wenn Radatz nun im Folgenden die evolutionäre Haltung als Grundlage des Coachings darlegt, dann zitiert sie immer wieder die Altmeister des Systemischen Denkens wie Gregory Bateson, Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Humberto Maturana oder Francisco Varela. Doch die Autorin verliert sich nicht im Theoretischen, sie ist vielmehr bodenständig und an der praktischen Umsetzung interessiert.
Dies wird auch im nächste Kapitel sofort ersichtlich, das sich ausführlich mit systemischen Fragetechniken befasst. Ab hier wird das Buch sehr praktisch und anwendungsorientiert. Nach den Fragen geht es um den Ablauf eines Coachings und dann um die Instrumente. Hierzu zählen nicht nur die schon genannten Fragen, sondern auch Musterunterbrechungen, die Einbeziehung virtueller Experten oder die Choreografie innerer Stimmen und weitere Instrumente. Diese werden alle systematisch vorgestellt.
Hiermit lässt es die Autorin aber noch lange nicht gut sein. Es folgen Ausführungen zu speziellen Coaching-Abläufen für spezielle Situationen. Und an dieser Stelle wird dem Leser auch eine Neuentwicklung der Autorin vorgestellt: Das Sparringpartnership-Rad, das ein einem Etui im hinteren Buchdeckel steckt. Die Phasen im Coaching sind als Rad aufgetragen und typischen Fragen/Interventionen zugeordnet. Da kann sich der Coach im Coaching leicht dran entlang hangeln, und es sieht auch intelligenter aus als eine Checkliste.
Das letzte Kapitel handelt von Konzepten des Selbst-Coachings. Auch hier werden wieder eine Fülle von Tools vorgestellt, etliche der sich im Zweiersetting bewährten Methoden werden adaptiert. - Noch einmal eine interessante Wendung im Buch, dass man die Methoden, mit denen man die Arbeit mit anderen verbessern kann, auch selber zum eigenen Nutzen anwenden kann.
Alles in allem strotzt dieses Buch nur so von praktischen Konzepten und Tools, denen man anmerkt, sie sind in der Praxis entstanden, in Coaching- und Ausbildungssituationen, sie wurden erprobt und verbessert, bis sie "rund" waren. Zur Verbesserung der Sozialkompetenz von Führungskräften, und es soll ja solche Personen geben, die an sich und der Verbesserung des eigenen
Wirkungsgrads arbeiten möchten, ohne nachher die Welt als Coach beglücken wollen zu müssen, ist dieses Buch mit Sicherheit geeignet. Das Buch ist ebenfalls ein guter Begleiter für eine Coaching-Ausbildung, gibt aber auch dem Fortgeschrittenen diverse Anregungen und Neuigkeiten an die Hand.
Thomas Webers
coaching@thomas-webers.de