Cover: Coaching und Supervision – Zur personenorientierter Beratung in Organisationen. Wiesbaden: VS.
Stefan Kühl

Coaching und Supervision – Zur personenorientierter Beratung in Organisationen. Wiesbaden: VS.

Rezension von Professor Dr. Harald Geißler

4 Min.

Coaching ist seiner Herkunft entsprechend ein Kind der Praxis - und wenn Wissenschaftler sich mit Coaching befassen, sind es meist Psychologen. Da lässt es aufmerken, wenn ein Professor der Organisationssoziologie ein Buch über Coaching und Supervision schreibt und im ersten Satz seiner Einleitung freimütig bekennt: "Dieses Buch ist von jemandem geschrieben worden, der selbst nie Coaching oder Supervision als Dienstleistung angeboten hat und - darüber hinaus - bisher noch nicht einmal ein Coaching oder eine Supervision genossen hat" (S. 9).
Das Ziel des Autors ist, mit seinem Buch Coaching und Supervision als personenorientierte Beratung "im Hinblick auf ihre Funktion in Organisationen zu bestimmen" und - ganz wesentlich! - "anhand dieses Beratungsansatzes einiges über die Funktionsweise von Organisationen zu lernen" (S. 24). Thematisch geht es also um Coaching und Supervision, das von Organisationen für ihre Mitglieder nachgefragt (und bezahlt) wird, und nicht um Coaching und Supervision, das von den Klienten selbst nachgefragt (und bezahlt) wird und von dem die Organisation, deren Mitglied der Klient ist, in der Regel nichts weiß. Unter dem Dach dieser thematischen Begrenzung und Zielsetzung gliedert sich das Buch in sechs Kapitel, die unterschiedliche organisationssoziologische Aspekte von Coaching und Supervision beleuchten. Jedes von ihnen bildet eine in sich geschlossene Einheit, so dass sie wie in einem Reader in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können.
Der explizit organisationssoziologische Betrachtungsstandpunkt des Autors generiert viele anregende und mancherlei durchaus auch irritierende oder gar provozierende Deutungen. Das ist vor allem bei Lesern zu erwarten, die sich bisher nur oder im Wesentlichen mit den psychologischen Aspekten von Coaching und Supervision befasst haben und denen aus didaktischen - oder besser gesagt: therapeutischen - Gründen vielleicht zu raten ist, ihre Lektüre mit dem letzten Kapitel zu beginnen: In dem es um die Grenzen geht, die die Hebelwirkung - und in diesem Sinne Wirksamkeit - von Coaching und Supervision in Organisationen ganz erheblich beschränken und die auch durch hochwertigste Arbeit nicht zu überwinden sind.
Für das konzeptionelle Verständnis, das der Autor von Coaching und Supervision in Organisationen hat, ist wesentlich, dass es dem "Gespräch unter vier Augen" nicht eine hervorgehobene Stellung gibt, sondern gleichermaßen Gruppen und Teams berücksichtigt und mit Bezug auf diese drei "Rahmungsmöglichkeiten" vier Ziele personenorientierter Beratung entwickelt, nämlich (1) Hilfestellung für den Einzelnen, (2) Verbesserung der Leistungen, die der Beratene gegenüber den Klienten/Kunden seiner Organisation erbringt, (3) Verbesserung der Zusammenarbeit im Team und (4) Organisationsentwicklung. Unklar bleibt dabei allerdings, in welcher Beziehung diese vier Ziele zu den im ersten Kapitel vorgestellten drei Aufgaben stehen, die nach Auffassung des Autors für personenorientierte Beratung zentral sind, nämlich die Bearbeitung von Konflikten, die Eingewöhnung in nicht bekannte organisatorische Rollen und die "Auskühlung" von unerwünschten Organisationsmitgliedern.
Das dritte Kapitel wendet sich einer ganz anderen Thematik bzw. Fragestellung zu, nämlich der Evaluation von Coaching und Supervision. Auch hier überrascht der Autor mit einer ungewöhnlichen Sichtweise bzw. mit wertvollen Denkimpulsen. Denn nach seiner Auffassung berührt jede Evaluation grundsätzlich immer die Interessen der Beteiligten und Betroffenen und schränkt dabei unabwendbar ihre für Evaluation wichtige Lernbereitschaft ein. Das führt zu der These, dass "sich die beiden Funktionen der Evaluation - Lernen und Legitimation - nicht gleichzeitig optimieren lassen" (S. 108). Vor diesem Hintergrund deutet der Autor - durchaus provokativ - den Erfolg von Coaching als Ergebnis einer Art Komplizenschaft von Beratern, Klienten und Auftraggebern, deren Grundlage identische oder kompatible Interessen sind, die Lernimpulse durch (selbst-) kritische Erkenntnisse systematisch verhindern.
Diese "unheilige Allianz" ist zweifellos einer der Gründe für die Qualitätsproblematik - oder schärfer formuliert: für die Scharlatanerie-Problematik, die im vierten Kapitel diskutiert wird. Um sie systematisch aufzuschlüsseln, schlägt der Autor vor, begrifflich zwischen einem engeren und einem weiteren Verständnis von Professionalität zu unterscheiden. Ersteres meint Qualitätssicherung durch Verordnung verbindlicher Handlungsstandards, Homogenisierung der Ausbildung und Restriktion der Zugänge zum Berufsfeld. Letzteres hingegen konzipiert "Professionalität ohne Profession", versucht also, Qualitätssicherung allein mit Bezug auf individuell definierte Formen professionellen Handelns zu erreichen. Diese Form von Professionalität, die die vorliegende Praxis von Coaching und Supervision kennzeichnet, führt zu den im fünften Kapitel diskutierten Schwierigkeiten der Kompetenzdarstellung von Coachs und Supervisoren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das von Kühl vorgelegte Buch ein Strauß relativ eigenständiger Essays ist, die ausgehend von einem spezifisch organisationssoziologischen Betrachtungsstandpunkt in den vorwiegend Psychologie dominierten Diskurs über Coaching und Supervision in erfrischender Weise alternative Sichtweisen und wertvolle Denkimpulse einbringen.

Professor Dr. Harald Geißler

Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
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