Cover: Genderkompetenz in Supervision und Coaching. Wiesbaden: VS.
Annette Nolze, Surur Abdul-Hussain

Genderkompetenz in Supervision und Coaching. Wiesbaden: VS.

Rezension von Susanne Ahlers

3 Min.

Das Buch sind eigentlich zwei Bücher. Aber beginnen wir vorne: Die Autorin Surur Abdul-Hussain will eine Lücke schließen und mit ihrem Beitrag darauf aufmerksam machen, dass Gender bisher kein Thema in Supervision und Coaching ist und deshalb selten in den Ausbildungscurricula thematisiert wird. Im ersten Kapitel rekonstruiert sie die Geschichte des Begriffs Gender. Sie benutzt den Unterstrich als Ausdruck dafür, dass sie viele verschiedene Genderidentitäten anerkennt. Hier fordert die Autorin ihre Leserinnen und Leser dazu auf, sich selbst aktiv mit ihren eigenen Geschlechterzuschreibungen auseinanderzusetzen. Außerdem befasst sie sich mit der Beteiligung von "Supervisor_innen und Coaches" an der Konstruktion von Geschlechterstereotypen und von Zweigeschlechtlichkeit.
Die Wiederherstellung der hierarchischen Geschlechterverhältnisse durch Supervision und Coaching sieht sie als Gefahr an, wenn keine fundierte Auseinandersetzung mit Gender und Macht stattfindet. Im zweiten Kapitel wird der "Integrative Ansatz" nach Hilarion G. Petzold mit dem Konzept Gender verbunden. Das dritte Kapitel befasst sich mit Genderkompetenz und -performanz. Die Autorin unterscheidet hier zwischen Wissen und Fähigkeiten und "die Fertigkeiten und die Umsetzung dieses Wissens" als Genderperformanz. Die gendertheoretischen Ansätze Gleichheit, Differenz, Diversität (Diversity), Doing Gender und der (sozial) konstruktivistische Ansatz, das Modell der hegemonialen Männlichkeit, der poststrukturalistische Ansatz und Queer Theory werden im vierten Kapitel vorgestellt und teilweise in Bezug zu Coaching und Supervision gesetzt. Beispiele illustrieren ein mögliches Umsetzen in die Praxis. Übungen, Reflexionen und praktische Beispiele werden eingestreut. Ebenso finden sich in den jeweiligen Kapiteln grau unterlegte Kästen, die einzelne Begriffe und Konzepte zusammenfassen oder erklären sollen.
Im letzten Kapitel geht es anhand eines konkreten Beispiels um die genderkompetente Praxis. Hier wird nun sehr anschaulich und nachvollziehbar mit Bezug auf die vorgestellten theoretischen Ansätze mit praxisnahen Tools gearbeitet. Die vorgeschlagene Herangehensweise hält die Rezensentin für sehr gut umsetzbar, wenn es ausdrücklich um das Thema Gender gehen soll. Aus ihrer Perspektive handelt es sich hier jedoch eher um Trainings oder Seminare als um Coaching. In diesem Kapitel stellt die Autorin außerdem Fragen, die auch zur Selbstreflexion der Coaches dienen und übertragbar auf eigene Fälle sein können.
An dieses letzte Kapitel schließt sich das "nächste Buch" an, der im Untertitel angekündigte Beitrag zu "Genderintegrität", der sich als ko-reflexiver Beitrag zum ersten versteht. Hier wird deutlich, dass es sich beim ersten Beitrag, um die Masterarbeit von Abdul-Hussain handelt, die von Ilse Orth und Hilarion G. Petzold begleitet wurde.
Der Rezensentin gefällt der Anspruch der Autorin, sich fundiert mit dem Thema Gender in Supervision und Coaching auseinander zu setzen und auf die Defizite in diesem Feld hinzuweisen. Auch ihr Vorgehen, die diskutierten theoretischen Ansätze zu erläutern und nicht im Oberflächlichen zu verharren, imponiert. Man fragt sich allerdings, für wen dieses Buch geschrieben wurde. Coaches, Supervisorinnen und Supervisoren sowie Beraterinnen und Berater, die sich noch nicht mit dem Thema befasst haben, werden - so vermutlich - eher abgeschreckt werden, da ohne Vorwissen der Text doch sehr anspruchsvoll ist. Der praktische Nutzen für (Einzel-) Coaching für Führungskräfte wird nicht sehr hoch sein, da sich die Beispiele und Bezüge kaum darauf beziehen. Für andere, die bereits über ein tiefergehendes Vorwissen verfügen, könnte es möglicherweise eine wunderbare Zusammenfassung oder Erweiterung des Wissens sein und Grundlagen schaffen, um beispielsweise Gender auch in Ausbildungscurricula zu integrieren.

Susanne Ahlers

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