Philippe Rosinski ist der erste Europäer, welcher als Master Coach (MCC) durch die ICF zertifiziert wurde. Er ist MBA-Professor an der Kenichi Ohmae Graduate School of Business in Tokyo, Japan. Sein Buch "Coaching across Cultures" wurde international mit viel Lob begrüßt. Dementsprechende Erwartungen weckt auch sein neues Werk. Es beschäftigt sich aber nicht, wie der Titel vermuten lässt, mit Coaching in einem interkulturell geprägten Kontext. Global bedeutet in diesem Fall ganzheitlich und allumfassend. Rosinski geht neue Wege im Coaching, indem er Perspektiven, Pflichten und Erwartungen von Coachs neu zu definieren versucht.
Das Buch teilt sich in drei logische Abschnitte. Im ersten Teil beschreibt der Autor den Status quo im Business und der Welt, beschwört Umwelt- und Klimaproblematik sowie das heiße Eisen der Corporate Social Responsibility (CSR). Er fordert den Coach dazu auf, seine Rolle in diesem System zu finden und zu überdenken. Dabei betont er, dass der Coach in der Entwicklung von Führungsqualitäten eine entscheidende Rolle spielt und somit für die Entwicklung einer neuen Generation von Managern verantwortlich ist. Manager dürften nicht mehr nur auf Zahlen und Profit schauen. Sein Credo ist "Doing well by doing good".
Sechs Perspektiven, der Kern von Rosinskis globalem Coaching-Ansatz, werden im zweiten Teil behandelt. Zum ganzheitlichen Coaching gehören die physische, die Manager-, die psychologische, die politische, die kulturelle sowie die spirituelle Perspektive. Rosinski beschreibt die Bedeutung jeder Perspektive und gibt dann ein Beispiel für ein Modell oder einen Ansatz, um auf jede Perspektive im Coaching eingehen zu können. Es wird betont, der Leser und Coach müsse seine eigenen Ansätze für die jeweiligen Ansätze finden um einen echten Fit zu erzeugen.
Die Zusammenhänge zwischen physischer Fitness in Relation zu Krankheits- und Stressanfälligkeit sowie im Zusammenhang mit der "Übergewichtsepidemie" sind existent und nicht aus der Welt zu denken, doch leider versteift sich der Autor explizit auf die längst widerlegten "Centenerian Studies" der Willcox-Brüder und Makoto Suzuki (tierisches Protein sei ein Gesundheitsproblem). Ernährung ist ein hochkomplexes Thema, auf dessen Linie Rosinski leider auf ganzer Linie versagt. Während der Inhalt fragwürdig ist, stimmt jedoch die Message, wenn er ein gut durchdachtes Fitnessprogramm vorschlägt.
Die Managerperspektive wird durch das Managerial Grid von Blake und Mouton eingeführt. Rosinski gibt das - nicht mehr ganz "frische" - Modell des situationsbezogenen Führungsstils von Hersey und Blanchard als Beispiel, wie ein Coach die Managerperspektive seines Klienten angehen kann.
Mit Eric Bernes Transaktionsanalyse und Persönlichkeitstests wie dem MBTI oder FIRO-B betrachtet Rosinski die psychologische Perspektive. Auch Psychoanalyse und positive Psychologie werden beschrieben. In diesem und dem nächsten Kapitel werden die Ursprünge von Rosinskis Ausbildung als Ingenieur deutlich: seine Vorliebe für eher statische Modelle.
Die politische Perspektive ist eine komplexe, von Rosinski jedoch gut gemeisterte Perspektive. Das Kapitel behandelt konstruktive Politik als Führungsansatz. Rosinski definiert das Erlangen von interner oder externer Macht in Organisationen dann als konstruktiv, wenn die Machterlangung gleichermaßen auch den Zielen des Unternehmens und anderen Stakeholdern dient. Die Aufgabe des Coachs wird dabei als ein Facilitator beschrieben, der dem Klienten hilft, die eigene politische Position innerhalb der Organisation aufzudecken. Auch hier geht das Kapitel nicht ohne ein statisches Matrixmodell zu Ende, das verschiedene Positionen anhand der beiden Variablen Service/Einsatz und Macht aufzeigt.
Die kulturelle Perspektive ist - auch im Hinblick auf das Vorgängerbuch - die wohl am stärksten untermauerte Perspektive. Rosinski geht hier systematisch auf sein Cultural Orientation Framework (COF) ein, welches eine auf den Arbeiten und Modellen von Stroedtbeck, Hall, Hofstede und Trompenaars aufbauende Kategorisierung in kulturellen Variablen, genannt "Orientierungen", darstellt. Den Nutzen seines Modells stellt er als einen Ankerpunkt dar, von dem aus ein Verständnis und eine Diskussion von Kultur beginnen kann.
Das achte Kapitel behandelt die spirituelle Perspektive im Coaching, welche als die menschliche Suche nach Sinn und Bedeutung verstanden wird. Rosinski geht hier auf eine Abspaltung der Verbindung zur Natur und anderen Menschen ein. Er beschreibt ein "Sich-Verlieren" im Leben und zitiert unter anderem Victor Franckl, Baruch Spinoza und die jüdische Mystik in Form von Geschichten des Chassidismus. Rosinski umschifft das Kap der Möglichkeit, eine besondere Spiritualität als besonders nützlich und wertvoll darzustellen, elegant.
Insgesamt macht der zweite logische Abschnitt - trotz der Schwächen einiger Ansätze - einen recht soliden Eindruck. Der Leser bekommt eine praktische Vorstellung der Umsetzung der sechs Perspektiven im Coaching. Er erfährt auch, dass eine eigene Interpretation durchaus erwünscht und zielführend sein kann.
Der dritte logische Abschnitt befasst sich mit einem Modell zur Integration der Perspektiven. Leider geht hier der rote Faden des Buches völlig verloren. Rosinski beschreibt das Modell des holografischen Universums als Grundlage eines neuen Denkens. Das Modell entstammt der Feder des Science-Fiction-Autors Michael Talbot. Dieser bezieht sich in seinen Arbeiten auf die philosophischen Arbeiten des Physikers David Bohm und Neuropsychiaters Carl Pribram. Das holografische Modell beschreibt zusammengefasst eine Realität, in der jeder Teil des Universums mit jedem verbunden ist. Die objektive Realität im klassischen Verständnis ist somit eine Illusion. Im Grunde beschreibt Rosinski damit ein offenes System und liefert einen systemischen Ansatz. Jedoch fragt sich der Leser nach kurzer Zeit, warum Rosinski über UFO-Entführungen, den Mythos der Synchronizität und göttliche Erfahrungen schreibt, wenn das Ziel doch Executive-Coaching sein soll. Auch die Ausführungen über Hellseherei trägt nicht gerade dazu bei, den Leser zu überzeugen. Gerade, wenn man selbst einen systemischen Ansatz verfolgt, wird man sich über Rosinskis Weg in den "Quantenmystizismus" eher wundern.
Auch das nächste Kapitel ist schwer einzuordnen. Es beschreibt die Rollen verschiedener Archetypen der menschlichen Psyche nach Carol Pearson. Diese sind sicher als ein Modell innerhalb der psychologischen Perspektive interessant, das tiefe Verständnis für das holografische, Perspektiven verbindende Modell bleibt jedoch aus.
Zum Schluss versucht Rosinski, die Perspektiven zu verbinden: mit Beziehungen. Und auch hier schlägt der Versuch eher fehl. Er bezieht sich auf den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Dieser beschreibt zwei Modi der Existenz, in welcher die Beziehung zu Objekten oder Personen sich grundlegend unterscheidet. Rosinski beginnt jedoch schnell, Bubers Philosophie mit der Transaktionsanalyse zu vermischen.
Insgesamt ist Global Coaching in den ersten zwei Abschnitten ein solides Werk, welches einen durchaus praktikablen, multiperspektivischen Ansatz propagiert und auch die traditionelle Rolle des Coachs verdient infrage stellt. Dieser Eindruck wird jedoch im dritten Abschnitt völlig
zunichte gemacht. Es fehlt hier der rote Faden und es strotzt nur so von Quantenmystizismus, wohl eher ein rotes Tuch für Esoterik-Kritiker in der Coaching-Branche.
Frank Taeger
Change, Leadership & Partners, Köln
www.change-leadership.net