Cover: Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz.
Björn Migge

Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz.

Rezension von Professor Dr. Gerhard Fatzer

4 Min.

aus Profile 11/2006        
Ein weiteres Buch, diesmal vom Beltz Verlag, das auch gerne noch von der Coaching-Welle profitieren möchte. Das Buch wird dann auch gleich als offizielle Ausbildungsunterlage „von über 2000 angehenden Coaches, Beraterinnen […] Trainern und anderen Interessierten aus ganz Europa gelesen“. Es ist also entstanden als Lehrskript zur Beratungspraxis.

Das ist sicher einer der Hauptnachteile des Buchs. Es ist ein Sammelsurium, dabei didaktisch sicher interessant aufgeteilt in Konzepte, Übungen sowie Fallvignetten und Lösungen. Das Buch scheint konzipiert wie ein Fernlern- oder Crashkurs in Coaching, und genau da liegt auch das grundsätzlich Bedenkliche: Der Band gaukelt dem Leser nämlich vor, dass man Coaching mit Aufgaben und den beigegebenen Lösungen bei der Lektüre lernen kann. Es werden dann zwar alle wichtigen Konzepte und Methoden vorgestellt, aber da kann man dann eben nur sagen: Alles schon da gewesen! Das Methodenrepertoire ist eine beliebige Zusammenstellung von NLP, den Kommunikationsmodellen, die man schon vor Jahren im Original an anderer Stelle lesen konnte, dazu noch ein bisschen Hirnforschung.

Der Abschnitt „Praktische Kommunikation für Coaches“ beispielsweise ist eine äußerst „wilde“ Zusammenstellung von Methoden. Offensichtlich hat der Autor auch ein Problem mit der Unterscheidung zwischen Theorien, Konzepten und Methoden: „Theorien haben sowieso nur den Wert von Hypothesen, die sich an der Erfahrung bewähren müssen“ (S. 29). Die Ausführungen zur Systemischen Beratung (S. 342 bis 370) sind ebenso lücken- wie fehlerhaft. Zuerst wird das Fehlen einer Gründerpersönlichkeit moniert, später wird Gregory Bateson vorgestellt (Doublebind etc.), dann springt er nahtlos zu Bert Hellingers Familienstellen, um dann abenteuerlich weiter zu Luhmann zu kommen. Wir empfehlen hier die Ausgabe 10/2005 der Zeitschrift „Profile“ www.profile-online.com/zeitschriften/profile.php, die die Vorbilder und Beeinflussungen beschrieben hat und deren Ergebnisse den Aussagen von Migge diametral entgegengesetzt sind.

Das Darstellen dieser Ansätze ist eindeutig nicht die Stärke dieses Buches. Die Organisationsberater werden kurz mit Hinweis auf GOE und BDU geschildert. Dies ist stellvertretend für das ganze Buch, alles ein bisschen oberflächlich zusammengewürfelt, nicht ganz falsch, aber auch nie richtig. Schaut man aber die Modelle etwas genauer an, so sind viele von Ihnen nur halb referiert, halb verstanden, etwas weiter modifiziert und darüber hinaus ohne genaue Quellen versehen. Als ein Beispiel nennen wir das Phasenmodell von Krisen (S. 99), das in seinen sieben Phasen Lewin zugeordnet wird. Es entspricht aber wortwörtlich dem von uns und Kollegen auf der Basis des Lewin-Modells der Veränderung (drei [!] Phasen) weiterentwickelten Modell der Veränderungskurve (Fatzer, an verschiedenen Orten). Solche Dinge sind ärgerlich und sehr typisch. Würden wir uns sehr viel Zeit nehmen, wir könnten viel Ähnliches finden.

In einem Teil 2 geht es um Ziele, Visionen, Persönlichkeit, im Teil 3 um „kognitives Umstrukturieren“. In Teil 4 wechselt der Autor kurioserweise zu „Paare und Familien“, um dann im Teil 5 „Gesundheit, Karriere, Team“ in den Fokus zu nehmen. Teil 6 widmet sich nun den systemischen Konzepten in der Beratung mit den doch eher verwirrenden Ausführungen, die wir oben schon beleuchtet haben. In einem nächsten Teil geht es um Krisen und Umbrüche, im Teil 8 um Konflikte und Konfliktarbeit und zu guter Letzt‘ im Teil 9 um „Selbstdarstellung und Selbstbild als Coach“.

Alles ist sehr fleißig und akribisch zusammengesammelt, aber es hat mich nicht überzeugt. Dass das konzeptionelle Fundament sehr wackelig ist, zeigt dann spätestens auch noch einmal der Blick auf die Literaturliste, wo beispielsweise mit allen Büchern von Ed Schein zur Prozessberatung und mit Wolfgang Looss’ Klassiker wichtige Fundamente fehlen. Ich würde dieses Buch z.B. unseren eigenen Ausbildungsteilnehmern auf keinen Fall empfehlen.

Professor Dr. Gerhard Fatzer

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