Cover: Hört auf zu coachen!: Wie man Menschen wirklich weiterbringt.
Svenja Hofert

Hört auf zu coachen!: Wie man Menschen wirklich weiterbringt.

Rezension von Janine Wunder

3 Min.

„Hört auf zu coachen!“ Der Titel der überarbeiteten Neuauflage lässt vielfältige Erwartungen zu: Wird mit fragwürdigen Methoden und Tools abgerechnet? Erfolgt eine strikte Abgrenzung in Coaching und andere Formen der Unterstützung? Oder werden gar etablierte Coaching-Schulen angegriffen? Weit gefehlt. Svenja Hofert gibt vielmehr umfassenden Einblick in mögliche Erwartungen an Coaching sowie in ihre eigenen vielfältigen Erfahrungen als Coach und als Klientin. Mit einem fiktiven Gespräch auf einer Party startet die Lesereise.

Die tatsächlichen aktuellen Bedürfnisse von Klienten, z.B. nach Austausch oder Beratung, werden Hoferts Meinung nach häufig im Coaching nicht erkannt oder nicht beachtet. Stattdessen führt ein übermäßiger Fokus auf spezifische Coaching-Methoden zur Nicht-Beachtung der individuellen Persönlichkeit des Klienten – in ihren Augen ein großes Manko. Diesem „blinden Fleck im Coaching“ (S. 20) sollten wir Beachtung schenken, so Hofert, uns also weniger auf uns selbst und unseren Werkzeugkoffer konzentrieren, sondern mehr auf unser Gegenüber und dessen eigene Logik. Wo steht dieser individuelle Mensch in seiner Persönlichkeitsentwicklung?

Auf Grundlage von „A New Big Five“ von Dan McAdams (2006) und der Weiterentwicklung von Thomas Binder (2016) und Jane Loevinger (1976) erläutert die Autorin die „wundersame Ich-Entwicklung“ in sechs Phasen Ego, Wir, Richtig, Effektiv, Flexibel und Flexibel Plus mit ihren jeweiligen Denk- und Handlungslogiken. Sie differenziert in den Phasen entsprechende Wirksamkeitsaspekte und bringt das Persönlichkeitsmodell mit anderen Ansätzen in Zusammenhang, z.B. mit Psychoanalyse, Verhaltenstherapie und Systemik. Die Phasen sind nicht trennscharf abgrenzbar, daher widmet Hofert sich ebenso den Übergängen und gibt Empfehlungen zum phasenbewussten Coachen. Viele eingearbeitete Fallbeispiele und ein gesonderter Praxisteil mit Übungen und Reflexionsfragen ergänzen die Theorie und geben Hilfestellung für den Transfer in die eigene Tätigkeit. Ebenso sind die insgesamt sechs gut lesbaren Kapitel angereichert mit Gedanken und Thesen für eine zukunftsfähige Coaching-Ausbildung und für die eigene Entwicklung als Coach.

„Sie selbst sind die wichtigste Intervention“ (S. 141), betont Hofert. Maßgeblich ist für sie dabei die Beziehung zwischen Klient und Coach und das Erkennen, wo der Klient steht und in welcher Phase er sich befindet. Nur so können die richtigen Impulse gegeben werden. Und: Keiner ist irgendwann „fertig“ entwickelt, auch der Coach nicht. 

Die Beschreibung des Modells springt thematisch etwas hin und her und ist mit vielen späteren Ergänzungen zu zuvor beschriebenen Phasen zuweilen auch etwas verwirrend. Eine hohe Textlastigkeit erschwert den Überblick. Wenige Grafiken (diese sind vor allem im Praxisteil zu finden) geben wiederum Hilfestellung für typische Fragestellungen und Entwicklungsthemen.

Hoferts Sicht auf das umfangreiche Thema Coaching und ihre zuweilen provokante Beschreibung der Branche und deren Herausforderungen ist erfrischend und unkompliziert. Die geforderte perspektivenreiche und selbstkritische Haltung mit Sicht auf die Facetten und den Entwicklungsstand der Persönlichkeit kann Coaches Impulse für die eigene Haltung und Selbstreflexion geben. Vor allem denjenigen, die sich und ihre Arbeit jenseits holzschnittartiger Coaching-Methoden und -Tools weiterentwickeln möchten, inklusive der Erkenntnis, dass mancher Klient eben auch Beratung oder Lebenshilfe braucht bzw. möchte und kein „reines“ Coaching.

Fazit: Ein wertvolles Plädoyer gegen die Methodengläubigkeit im Coaching und eine Ermutigung, sich der Komplexität von Persönlichkeiten und ihren wahren Bedürfnissen zu nähern.

Janine Wunder

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