„Mein Klient, der Narzisst …“ – wer als Business-Coach mit Führungskräften arbeitet, wird über kurz oder lang selbst einmal mit Menschen in Berührung kommen, auf die diese Eigenschaft zutrifft. Zumindest deckt sich dies mit aktuellen Meta-Analysen: Je narzisstischer man ist, desto eher wird man Chef. Nur: Wie gut oder auch wie objektiv ist unser Bild als Coach von diesem Persönlichkeitsmerkmal, das im Volksmund auch allzu oft in die Kategorie „psychische Krankheit“ geschoben wird? Oder vergeben wir das Label „Narzisst“ eventuell auch vorschnell und basierend auf Halbwissen oder Bauchgefühl?
Der international bekannte Narzissmus-Experte Mitja Back, Professor für Psychologische Diagnostik an der Universität Münster, hat in seinem Buch sein gesammeltes Wissen und seine Erfahrung aus langjähriger Forschung über diese Persönlichkeitseigenschaft verschriftlicht und auf rund 300 Seiten sowohl wissenschaftlich fundiert als auch gut lesbar und mit unzähligen Beispielen unterlegt einem breiten Publikum zugänglich gemacht. So bietet das Buch für Coaches sowohl einen leicht zugänglichen als auch fundierten und umfassenden Überblick zum Thema Narzissmus.
Inhaltlich gliedert sich das Werk in drei Abschnitte. Im ersten Abschnitt („Wer bin ICH!?“) wird Narzissmus in seinen grundlegenden Facetten beschrieben. Das „grandiose Selbst“ und seine Spielwiesen und Bühnen, auf dem es seine Bewunderung bekommen kann. Aber auch schnell und massiv die Ellbogen ausfährt, sofern das schillernde Bild in irgendeiner Weise gefährdet sein könnte. „Soziales Voran-Kommen“ des Narzissten anstelle des sozialen Zurechtkommens als Lebensziel von Menschen mit niedrigen Narzissmus-Werten. Inklusive eines kurzen Selbsttests für den Leser („Der ICH!-Test“) zur persönlichen Einsortierung in der „Narzissmus-Gauss-Kurve“. Bei der die extremen Ausprägungen dann in das Krankheitsbild der Persönlichkeitsstörung umschlagen, Narzissten dann „keine armen Würstchen sind, aber zu solchen werden können“.
Der zweite Abschnitt („Woher komme ICH!?“) räumt mit einigen Vorurteilen der Entwicklung dieser Persönlichkeitseigenschaft auf. Ist Narzissmus immer mit einem früheren Trauma verbunden? Ist es eine vererbliche Eigenschaft – und gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern? Und „produzieren“ die sozialen Medien immer mehr Narzissten in unserer Gesellschaft?
Für Business-Coaches wird es dann im dritten Abschnitt („Was bringe ICH!?“) im Kapitel 11 „ICH! Und der berufliche Erfolg“ nochmal hochinteressant, das sich der Frage widmet „wie Narzissten zu charismatischen Bossen, genialen Erfindern und skrupellosen Hochstaplern werden“. Welche Berufe wählen sie, warum gründen viele ihr eigenes Unternehmen, wie verlaufen ihre typischen Karrieren? Und: Wie lässt sich dieses Tandem aus charismatischer und destruktiver ICH!-Führung im Unternehmensalltag bändigen und klug einsetzen?
Fazit: Coaches sollten sich mit Narzissmus beschäftigen. Mitja Back bietet hier einen fundierten, umfassenden und für die Coaching-Arbeit gut verwendbaren Einstieg.
Hans-Peter Stoßberg