Das Buch erscheint 2008 in der dritten Auflage. Zuerst publiziert 1995, war es schon in der zweiten Auflage (2002) stark verändert und ist jetzt noch einmal überarbeitet und verändert. In seiner Grundstruktur und in seinem Tenor ist es gleich geblieben: Ein sehr amerikanisches Handbuch, vielfach und immer wieder ein Rezeptbuch, aber auch eine Ermunterung zum Selbermachen: Know how & how to do. Überschwänglich selbstbewusst und vollmundig im Anspruch, aber auch häufig banal. In Details Schritt für Schritt pädagogisch-didaktisch, aber auch wieder langweilig oberlehrerhaft. Meisterhaft vielleicht, aber umständlich.
Wie kommt es zu solchen Gegensätzen und Widersprüchen in einem Buch? Mir scheint dies mit der amerikanischen Coaching-Szene verknüpft zu sein: Es gibt gesellschaftlich eine hohe Akzeptanz von Coaching, es gibt viele unterschiedliche Coachs und Coaching-Firmen, auch Verbände, es gibt eine breite Kultur von Coaching-Ausbildungen, von Standards, von Professionsverständnissen. Und es gibt eine ganze Reihe von Gurus, mit einem umfassenden Anspruch, der teils eingelöst wird, teils aber auch verspielt wird, weil das Gebotene oft zu simpel gestrickt, zu sehr mit Selbst-Marketing verwoben ist. Bei dem Buch von Robert Hargrove wird es in zentralen Begriffen anschaulich, die sich nur schwer ins Deutsche übertragen lassen. Sie klingen hier leicht aufgeblasen oder gar lächerlich.
Masterful Coaching: So heißt das Buch, aber so heißt auch die Firma von Robert Hargrove. Schreibt er über seine Firma? Nein, oder nur am Rande. Hargrove will meisterhaftes Coaching erläutern und beschreiben. Es finden sich durchaus auch meisterliche Vignetten, kleine anregende und einleuchtende Beispielgeschichten. Vor allem bietet das Buch in vier Teilen eine Wegbeschreibung, wie man ein meisterlicher Coach werden kann. Aber geht das, wie hier unterstellt wird, indem man das Buch liest? Indem man es befolgt oder auch so macht wie der Autor? Soll das ernsthaft so gehen? Kann man ein meisterlicher Coach werden, wenn der Meister den Schüler oder die Schülerin, Lernling oder Lehrling, gar nicht in den Blick bekommt? Wenn, wer das Buch liest, seine Voraussetzungen als Coach sich selbst schaffen muss? Oder muss man dann noch ein weiteres Buch von ihm lesen, das Masterful Coaching Fieldbook, oder Mastering the Art of Creative Collaboration? Hargrove gesteht etwas von diesen Ungereimtheiten ein, wenn er neben dem Masterful Coach, der man werden kann, auch von einem Master-Level-Coach spricht, mit dem man am besten gearbeitet haben soll - wobei auch wieder nicht klar ist, wer das ist und was diesen Master-Level-Coach qualifiziert. Oder ist der Meister nur einer?
Extreme leaders: "Bessere Führer, eine bessere Welt"(S. Xi). Bessere Führer oder Führungskräfte sind auch außergewöhnliche, extreme Führungskräfte. Mir scheinen sie sehr menschlich und normal. Sicher, Hargrove vermeidet nicht das Nennen von Namen von Firmenchefs, mit denen er gearbeitet haben will und denen er ungewöhnliche Erfolge zuschreibt. Aber indem er sie für Selbstmarketing nutzt, stellt sich nicht nur die Frage von Vertraulichkeit, sondern auch die der Nachprüfbarkeit. Quintessenz der extremen Führerschaft ist nach Hargrove, dass Führungskräfte heute auch Coachs sind oder sein müssen. Seine Beispiele, die er dafür gibt, sind jedoch häufig trivial - der Ratschlag, einfach "den Hut zu wechseln" zwischen Chef und Coach (S. 223), ist doch naiv und bagatellisierend. Rolle, Organisation, Hierarchie, Positionen, Macht - all das wird von Hargrove eingenebelt. Ihre konstruktive Bedeutung kommt nicht vor.
Impossible future: Eine unmöglich erscheinende Zukunft sich vorzustellen und von vorne sozusagen auf die eigenen Gegenwart rückzubeziehen, ist der zentrale inhaltliche und methodische Vorschlag von Hargrove. Er steht damit dem lösungsorientierten Coaching nahe, oder auch dem Futur II (Alfred Schütz) oder der Wunderfrage nach Milton Erickson, Steve deShazer und anderen. Hargrove vermeidet jedoch jede Einbindung in eine breitere theoretische Diskussion; Verweise auf andere Schulen und Theorien kommen kaum vor. Die "unmögliche Zukunft" wird ganz und gar als eigene Erfindung dargestellt. Der Begriff des Unmöglichen wird jedoch nicht weiter reflektiert - unmöglich bleibt unmöglich und soll zugleich möglich sein. Der Taschenspielertrick ist, dass eine gewünschte Zukunft erst als "unmögliche" Zukunft ins Grandiose gedreht und dann wieder in kleine methodische Schritte von Veränderung und Zielerreichung übersetzt wird. Es ist wie bei Toyota: Nichts ist unmöglich!
Zur Umsetzung der "unmöglichen Zukunft" bietet Hargrove eine Reise in zwölf Schritten an. Dies ergibt auch ein Modell für ein Coaching über zwölf Monate, die als "Zauberei" in zwölf Abschnitten ziemlich unmirakulös beschrieben werden (S. 132ff.). Einzelne Passagen sind durchaus mit Vergnügen zu lesen. Insgesamt aber wirkt die Methodik erzwungen, konstruiert. Nicht unbedingt willkürlich, aber doch so, dass man den Meister Hargrove Meister sein lässt und sich der Tipps, Ratschläge, Anweisungen, Rezeptvorschriften und Aufforderungen, die dieser Meister auf jeder Seite ausbreitet, entzieht und das Buch zuklappt.
Fazit: Besser eine solide Coaching-Ausbildung mit Reflexion in einer Lerngruppe als dieses vollmundige Rezeptbuch eines Meisterkochs ohne saisonale Lebensmittel und ohne Feuer im Herd!
Dr. Konrad Elsässer
Senior Berater, Schwertl & Partner, Frankfurt am Main
ke@schwertl-partner.de