Vor dem Hintergrund der immer länger werdenden Liste an herkömmlichen Büchern zum Thema "Coaching" und "Supervision" sind alternative und innovative Medien besonders willkommen. Dazu zählt dann auch der hier vorgestellte "Methodenkoffer". Dieser Titel ist allerdings etwas wohlwollend ausgefallen, schließlich handelt es sich dabei um ein Karteikarten-Set im Format DIN A 5. Das Werk wird von den Autoren im Selbstverlag übers Internet vertrieben, zusammen mit einer Reihe an Ratgebern, Broschüren und diversen Sprüchesammlungen.
Nach dem Öffnen des Pappkartons richtet sich zunächst der Blick des Rezensenten auf das beigelegte Anleitungsheft, das mit gut 80 Seiten recht ausführlich ausgefallen ist. In dieser Bedienungsanleitung wird betont, dass die Fallbeispiele und die verschiedenen Inhalte aus dem schulischen Kontext stammen. Die im Werk beschriebenen Methoden können jedoch problemlos auf andere Arbeitssettings im Non-Profit- und Profitbereich übertragen werden.
Die vorgesehene Anwendung des Kartensets wird aber nur recht kurz erläutert. Ohne vertiefende Handlungsanweisungen folgt rasch eine ausführliche inhaltliche Darstellung. Diese beginnt mit einem - fast schon leidenschaftlichen - Plädoyer für die Notwendigkeit von Supervision, um die Erhaltung der Lehrergesundheit zu gewährleisten: Bei der Fülle an alltäglichen Herausforderungen für Lehrer gibt es eine ganze Reihe von Anlässen, die aus den dort üblichen Störungen, Konflikten und Problemsituationen erwachsen und bedauerlicherweise zumeist ohne die Hilfe einer Supervisionsgruppe gemeistert und bewältigt werden müssen. Um hierfür wirksam Abhilfe zu schaffen, wird Schule als soziales Gebilde verstanden, wobei eindeutig das systemisch geprägte Weltbild der Autoren deutlich wird, unterstützt durch Elemente aus der "Themenzentrierten Interaktion TZI". Der folgende Text enthält dann eine durchaus anschauliche Beschreibung von Supervision im Schulalltag. Das im Titel ebenfalls angekündigte Thema "Coaching" hingegen wird deutlich weniger angesprochen.
Nach dieser inhaltlich durchaus hochwertigen Einstimmung in Form des Begleitheftes nimmt der Rezensent nun das eigentliche Herzstück dieses "Methodenkoffers" in die Hand, das Kartenset. Auf (ziemlich dünnem) gelben Papier gedruckt finden sich zunächst einmal einige wenige Karten zu den Arbeitsphasen von Supervisionsgruppen, verbunden mit Regeln und Checklisten für eigene Projekte. Deutlich ausführlicher ist der Stapel der weißen Karten, auf denen insgesamt 76 verschiedene Methoden aufgeführt werden. Eine Tabelle hilft bei der Unterscheidung, ob die jeweilige Technik auch ohne externen Supervisor im Intervisions-Modus anwendbar ist und auf welche (typischer NLP-Jargon) Sinnesebene sie vorwiegend abzielt (akustisch-verbale, visuelle oder kinästhetische). Aber diese wenigen Ordnungshinweise eignen sich nur eingeschränkt, dem Leser oder Anwender den Überblick über den dicken Kartenstapel zu erleichtern.
Was rasch zum ungesteuerten Blättern einlädt: Auf den Karten finden sich klassische Themen wie "Das Anliegen des Klienten klären" direkt gefolgt von der Systemaufstellung mit Stühlen, Holzfiguren oder Seilen. Andere vorgeschlagene Interventionen sind "Der Brief an mich selbst", "Doppeln" oder die "progressive Muskelentspannung". Ferner finden sich fertige Fragebögen zur Einschätzung des Kollegiums oder Teams oder zur Selbsteinschätzung der Lehrerpersönlichkeit oder der Schulumwelt. Ein Überblick über die systemischen Fragetechniken darf außerdem nicht fehlen, ebenso das "innere" oder das "Reflecting Team" sowie die Arbeit mit "Glaubenssätzen". Zu manchen dieser 76 Methoden werden dann noch ausführlichere Begleitbeschreibungen in Form kleiner Heftchen erforderlich, so zum Beispiel zum Soziogramm.
Wie ist das Gesamtwerk nun abschließend zu bewerten? Es kann kaum bestritten werden, dass alternative Medien und hierbei gerade der "Kartenmodus" im Vergleich mit dem konventionellen Buch für praktische Anwendungen konkrete Vorteile mit sich bringen, weil gezielt einzelne Karten herausgegriffen werden können (Stellen wir uns dazu nur einen Moment vor, Günther Jauch - oder einer seiner Mitstreiter - würde anstelle seiner Handzettel zunächst interessiert in einem Buch blättern, bevor er dann eine schlaue Frage stellt; völlig undenkbar!) Doch scheint den Autoren eine durchgängige Nutzung des zentralen Karten-Mediums nicht leicht zu fallen, weil sie durch die diversen Begleithefte "verwischt" wird. Hierbei wäre eine größere Konsequenz wünschenswert gewesen, auch wenn in diesem Rahmen theoretische Hintergründe nicht ausreichend beleuchtet werden können.
Ohnehin ist der Hinweis "Weniger ist oft mehr!" auch für dieses Werk insgesamt zutreffend: Die Kartensammlung enthält letztlich einen Rundumschlag der - zum Teil schon hinlänglich bekannten - Interventionen, ohne dem Leser die Navigation angemessen zu erleichtern. Die Konzentration auf den schulischen Kontext hingegen kann in diesem Sinne als durchaus angemessen und gelungen betrachtet werden, auch wenn der Leser gegebenenfalls den Transfer in einen anderen Arbeitskontext selbst vornehmen muss.
Allerdings reibt sich der Rezensent ein Stück weit an der idealtypischen Darstellungsweise von Lehrer-Supervision, die aber in vielerlei Hinsicht eher Wunschdenken als weitverbreitete Arbeitsrealität darstellen dürfte. Bei soviel Hintergrundinformation wäre hier eine vertiefte Reflexion wünschenswert gewesen, welche Hürden aus dem Weg zu räumen sind, bevor der sicherlich vielversprechende Gedanke von Super- oder Intervision auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden kann. Dabei beschränkt sich das hier besprochene Werk eindeutig auf das Supervisions-, also Gruppensetting. Das Einzelsetting "Coaching" wird zwar im Titel angekündigt, aber nur eingeschränkt behandelt. Dieser Punkt sollte andererseits nicht überbewertet werden, weil die überwiegende Anzahl der vorgestellten Interventionen auch oder gerade im Coaching-Format angewendet werden kann. Letztlich erhält der Käufer eine Menge praktischer Hilfestellung mit entsprechendem Hintergrund zu einem fairen Preis. Allerdings darf bei aller Wertschätzung nicht verschwiegen werden, dass auch andere Autoren zuvor schon ähnliche Wege beschritten haben und bereits diverse Karteikästen in dieser Produktgruppe (dazu meist auch noch mit aufwendiger Gestaltung) veröffentlicht wurden.
Doch am Ende des Tages hängt ja ohnehin der Erfolg des "Gesamtkunstwerkes" weniger von der Güte des verwendeten Werkzeugs als vielmehr von der Qualität und Qualifizierung des Beraters ab - und für eine gute Lehrer-Supervisionsarbeit lässt sich mit diesem "Methodenkoffer" allemal eine passende Grundlage finden.
Prof. Dr. Klaus Stulle
Corporate Human Resources, Bayer AG, Leverkusen