Cover: MiniMax-Interventionen und die Feinheiten therapeutischer Kommunikation – minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. 2-tägiger Workshop mit Demonstrationen und Übungen. 4 DVDs.
Manfred Prior

MiniMax-Interventionen und die Feinheiten therapeutischer Kommunikation – minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. 2-tägiger Workshop mit Demonstrationen und Übungen. 4 DVDs.

Rezension von Günther Mohr

6 Min.

Die Minimax-Interventionen von Manfred Prior sind Kommunikations- und Sprachfiguren, die wesentliche Elemente für lösungsorientierte Therapie, Beratung oder Coaching herausstellen. Im besten Sinne pragmatisch helfen sie, den Blinkwinkel zu verändern und neue Sichtweisen zu entwickeln.

Nachdem schon vor einigen Jahren ein fundamentales Büchlein erschien, liegt nun ein aktuelles, mitgeschnittenes Trainingsseminar von Prior zu den Minimax-Interventionen vor. Mit minimaler Intervention Maximales erreichen beginnt mit der Betrachtung der üblichen anfänglichen Problemformulierung, mit dem Klienten in Beratung oder Therapie kommen. Nicht selten wird für Probleme eine „immer“-Formulierung, eine Generalisierung gebraucht. Prior weist darauf hin, wie wichtig der Schritt sei, zu Einschränkungen des „immer“, also zu Ausnahmen zu kommen. Hier besteht allerdings die Schwierigkeit, dass dies oft nicht mit einer direkten Frage beim Klienten zu ermitteln ist. Prior zeigt auf, wie man hier praktisch weiterkommt. Im nächsten Schritt weist er auf die Bedeutung der Unterbrechung der Fortschreibung eines Problems in die Zukunft hin. Mit „bisher-“ und Vergangenheitsformulierungen wird eine Unterscheidung hergestellt.

Im Workshop wird jeder Schritt sehr schön erfahrungsorientiert erarbeitet und auch die gefühlsmäßige Bewertung der einzelnen Sprachfiguren und feinen Perspektiven erlebt. Absolut realistisch macht Prior deutlich, dass es am Anfang eine unabhängige positive Zielbeschreibung oft noch nicht gibt. Die Problemtrance hält durchaus aus Vertrautheitsgründen am Negativbild fest.

Auch Vorschläge oder wissenschaftlich belegte Erkenntnisse werden in dieser Phase oft mit „Ja-aber“-Mustern vom Tisch gefegt. Dies birgt die Gefahr des Frustes auf beiden Seiten, beim Klienten und beim Berater. Dann zeigt Prior auf, wie man mit dem wichtigsten Wort der Psychotherapie arbeitet: mit „sondern“. Nach dem Überwinden der „Sollte und Müsste“- sowie der Komparativ-Phase („besser“, „aktiver“, „leichter“…) tritt man langsam in die echte Zielklärung ein. „100 (Nach-)Fragen“ heißt das Programm. Allerdings ist dies kein interrogativer reiner Fragestil, sondern immer ein zunächst Paraphrasieren des vom Klienten Geäußerten, bevor Fragen kommen wie: „Können Sie mir das noch mehr erklären? Wie könnten Sie genauer erklären, was Sie meinen…?“

Meine Erkenntnis als Beobachter war an dieser Stelle, dass ich merkte, wie ich aus Beraterperspektive den Lösungsraum bisher gegenüber dem Problemraum idealisiert und idyllisiert hatte. Es ist bedeutend schwieriger, sich im Ziel- und Lösungsraum zu bewegen als im vertrauten Problemgelände. Den Zielbereich zu klären, kam mir vor, wie wenn man mit dem anderen zusammen in eine Höhle geht, in der der andere auch jeden Meter neu beforschen muss.

Prior zeigt im Workshop außerdem eindrücklich auf, wie vorsichtig und kleinschrittig eine Veränderung angegangen werden muss. Aus dem „nicht mehr depressiv sein“ wird als erster aktiver Schritt ein kurz in den Garten gehen und einen kleinen Teil des Rosenbeets vom Unkraut befreien.

In den auf der DVD auch enthaltenen, sehr gehaltvollen Lehrdialogen zwischen Prior und den Teilnehmern kommt die Hypothese: „Über Ziele nachdenken, ist was Tiefes“. Diese räumliche Metapher könnte man hinterfragen, inwieweit es auch entsprechend dem veranschaulichten Bild nicht eher auf der gleichen horizontalen Ebene etwas in einer anderen Richtung ist, vielleicht eine andere Himmelsrichtung, nicht tiefer in die Wüste hinein, sondern in Richtung grünes Land oder zumindest Oase, aber auf der gleichen Oberfläche. Es ist nur nicht gut sichtbar. Die Gewohnheit trägt einen immer wieder auf die gleiche vertraute Strecke.

Im Workshop wird sehr plastisch der Zusammenhang des bekannten Spruchs „Das Ziel ist der Weg“ dargestellt. Und bei 100 Nachfragen kann man den Coach schon als penetrant erleben. Aber dies lässt sich dadurch vermeiden, dass man die vorherige Antwort wiederholt und würdigt. Man muss sich für den anderen und dessen Ziele interessieren. Carl Rogers hätte sich über die gezeigte Form des Widerspiegelns sehr gefreut. Und interessanterweise wird dabei über die Zielaufklärung oft noch mal das Problem, die Problemdefinition verändert.

Etwa nach der Hälfte des Workshops wird der Punkt behandelt, wann im Alltag erste Fortschritte des Klienten deutlich werden. „Es war in der letzten Zeit etwas weniger problematisch. Wie war es? Nicht so schlimm wie sonst.“ Aber da besteht die Gefahr, dass sich der Klient anschließend nach dem zarten Veränderungspflänzchen wieder in die schlimme Situation hineinredet. Ich erinnerte mich an dieser Stelle an meine Begegnung mit Steve de Shazer vor vielen Jahren, der das „Was ist besser geworden?“ in der zweiten Sitzung penetrant und in vielen Variationen, die sich vom Problemraum absetzten, praktizierte.

Der Zielklärungshelfer bleibt weiterhin gefragt und er sollte vorsichtig sein mit „Zockerfragen“, die den anderen in eine „ja“ oder „nein“- Situation bringen. Selbst ein vorsichtiger Vorschlag von „mal etwas Bestimmtes probieren“ kann die Gefahr des Scheiterns enthalten. Oft gelingt es auch, über das Ziel zu Ausnahmen zu kommen. „Das Gold der Therapie liegt in den Ausnahmen.“ Aber auf keinen Fall soll man versuchen, ein anderer Mensch zu werden. Ziele auf der Ebene von Identität sind sehr große Ziele. Eher: „Wann ist es Ihnen ein bisschen gelungen?“ Dazu gilt es, die Strategie der Ausnahmen zu explorieren.

Prior zeigt in seiner Arbeit eine ungeheure Ruhe und extrem viel Erfahrung. Auch schelmische Tipps fehlen nicht: „Wenn Sie es noch nicht richtig können, bringen Sie es Ihren Kollegen bei, dann lernt man am besten.“ Geflügelte Worte fehlen ebenfalls nicht: Die magnetische Kraft der Kommunikation gehe zum Vertrauten. „You can never win a should-contract“, weil es dann immer auch die andere Seite gibt, die nicht will. „You alone can do it, but you cannot do it alone.”

Die Reaktionen der Teilnehmer im Workshop sind ebenfalls sehr stark. Am Morgen des zweiten Tages war die Gruppe etwas mürrisch, weil die Art des Fragens und das sich mit Lösungsideen Zurückhalten doch eine Umstellung bedeuten. In der Didaktik fängt Prior dies durch die umfassenden Nachbesprechungen auf, in die er auch immer sehr viel Verfeinerung einstreut. Schöne Metaphorik wie „Interventionen üben ist wie Tonleiter üben“ stellen Pragmatik vor Dramatik. Eines muss noch erwähnt werden: das systemische Schweigen. Als Gegensatz zum filigranen und oft propagierten systemischen Fragen empfiehlt Prior für viele Situationen das systemische Schweigen. Für den neu Übenden sei diese Technik noch mit einem vielleicht angestrengten Aushalten beim Berater verbunden, in der zweiten Stufe mit einem angenehmen Genießen und einer Neugier, was der Klient für sich eigenständig entwickelt.

Priors hintergründiger, trockener, fast englischer Humor – „Ich interessiere mich sehr für die Zukunft, weil das der Bereich ist, wo ich den Rest meines Lebens verbringen werde“ – lockert die Arbeit ungeheuer auf. Durch sein wiederholendes und immer wieder konkretes Vorgehen und Vorzeigen veranschaulicht er vieles. Es wird bei den Zuhörern regelrecht implementiert und diese Chance bietet sich auch demjenigen, der die DVD anschaut. Eigentlich einfache, aber viel zu selten praktizierte Lerngesetze werden auf eine intelligente Art und Weise praktiziert. Keine großen Motivationsimpulse, die erst im Konkreten realisiert werden müssen, sondern wiederholtes, einträufelndes konkretes Vorgehen.

Fazit: Eine großartige Pragmatik und eine echte theoretische Weiterentwicklung von Steve de Shazers lösungsorientiertem Ansatz.

Günther Mohr

Hofheim
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