Cover: The Complete Handbook of Coaching.
Elaine Cox, Tatiana Bachkirova, David A. Clutterbuck

The Complete Handbook of Coaching.

Rezension von Dr. Michael Loebbert

4 Min.

Ein Meilenstein für die Entwicklung eines differenzierten Verständnisses von Coaching. Die Herausgeber, alle an britischen Hochschulen als Lehrende in Coaching-Ausbildungen tätig, hatten eine Idee. Und zwar eine gute. Wer auf die Verwendung des Begriffs "Coaching" schaut, stellt eine Vielzahl von Anwendungsfeldern (Praxisfelder) und theoretischen Ansätzen vor. Schlimmer noch: Zum großen Teil versucht jeder Protagonist einer bestimmten Verwendungsweise, sein eigenes Verständnis als das einzig richtige herauszustellen. Bisherige wissenschaftliche Versuche, Coaching in Bezug auf bestimmte Zielgruppen, bestimmte Zwecke und bestimmte Methoden zu definieren, führten zu keinen eindeutigen Resultaten. Unter der Überschrift "helfende Berufe" überschneidet sich Coaching in vielfältiger Weise mit Training, Erwachsenenbildung, Therapie, Expertenberatung und Führung.
Aus dieser Situation laden die Herausgeber die mindestens im angelsächsischen Sprachraum führenden Vertreter unterschiedlicher Schulen und Praxisfelder ein, sich mit einer Darstellung ihres Ansatzes an einem Handbuch zu beteiligen. Und wirklich alle wichtigen haben mitgemacht. Sie hatten die Aufgabe, (1) ihre wichtigsten Konzepte und Annahmen zu erläutern, (2) Methoden und Vorgehensweisen vorzustellen, (3) die Rollen von Coach und Klientin zu definieren, (4) wenn möglich, einen Zusammenhang von bestimmter Schule und Themen in der Praxis herzustellen, (5) in den Anmerkungen einen Überblick über die wichtigste Literatur in ihrem Gebiet zu geben.
Psychodynamisches, kognitives, lösungsorientiertes, personenzentriertes, Gestalt, existenzielles, ontologisches, narratives, transpersonales Coaching und Coaching mit dem Ansatz der positiven Psychologie, der Transaktionsanalyse, des neurolinguistischen Programmierens sind über die Hälfte des Buches den einzelnen Kapitel gewidmet. Der zweite Teil versucht, "Arten und Kontexte" von Coaching abzugrenzen: Performance-Coaching, Entwicklungs-Coaching, Veränderungs-Coaching, Führungs-Coaching, Team-Coaching, Peer-Coaching, Lebens-Coaching, Karriere-Coaching, interkulturelles Coaching und schließlich Mentoring.
Dem Leser des Inhaltsverzeichnisses sollte es schwindlig werden. Die Herausgeber haben wirklich (fast) an alles gedacht. Neuerdings boomende Praxisfelder wie Job-Coaching und Gesundheits-Coaching sind (noch) nicht bedacht. Vielleicht hätten sich insbesondere deutschsprachige Leserinnen noch ein Kapitel zum systemischen Coaching gewünscht. Der dritte, kleinere Teil des Buchs (50 Seiten) wirkt mit seinen "praktischen Themen", wie Coaching-Ethik, Zukunft von Coaching und professionelle Entwicklung von Coaches etwas "angeklebt". Die Herausgeber rechtfertigen dies mit einer Momentaufnahme der Diskussionen im professionellen Feld. Jetzt aber dazu, warum der Rezensent das Buch für einen Meilenstein hält:
1. Wer einen Überblick der verschiedenen Coaching-Ansätze auf hohem und sachkundigem Niveau sucht, wird hier fündig. So etwas gibt es sonst nicht.
2. Durch die Strukturierung der Herausgeber kann die Leserin zusätzlich Unterschiede und Gemeinsamkeiten feststellen, die bei einer sonstigen, parallelen Lektüre nicht wahrnehmbar wären. Alle Autorinnen haben sich auf die Aufgabe eingelassen, die zentralen Annahmen zu erklären, die ihren Konzeptbildungen zugrunde liegen. Dem Lesenden können damit tatsächlich Lichter aufgehen: Aha, so hängen diese Ansätze zusammen. Das ist wirklich ein wichtiger Aspekt, der sonst nicht so in den Blick genommen wird. Polemiken, mit denen sonst Vertreter unterschiedlicher Schulen aufeinander losgehen, werden ins Verhältnis gesetzt.
3. Aus der Sicht der Herausforderungen unterschiedlicher Praxisfelder erweisen sich tatsächlich bestimmte Ansätze als besonders nützlich, da sie sich leichter an die Wirklichkeit der Klienten anknüpfen lassen. So ist zum Beispiel im Executive-Coaching der kognitive Ansatz im ersten Schritt hilfreich.
4. Und wahrscheinlich ist die Integration der vielen Ansätze in eine Makrotheorie nicht nur nicht möglich, sondern auch nicht wünschenswert. Das Feld ist zu dynamisch und in Bewegung, um Festlegungen und eindeutige Bestimmungen zu machen. Eher werden Erkenntnisse der konstruktivistischen Erkenntnistheorie befeuert, dass die persönliche Konstruktion von Coaching die entscheidenden Unterschiede macht. Die Herausgeber schlagen einen "methodischen Eklektizismus" (managed ecliticism, S. 420) in der Auswahl von Ansätzen und Vorgehensweisen vor.
Damit bleibt das Buch so offen und unprätentiös wie es begonnen hat. Lehrende und alle im Feld Coaching tätigen Personen profitieren von Über-den-Tellerrand-Blicken, der offenen Diskussionskultur und der Einbettung in pragmatische Sichtweisen, wie dies vielleicht nur Autoren aus dem englischen Sprachraum vermögen.

Dr. Michael Loebbert

Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch
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