Iris Pöll hat für diese Master-Arbeit den Cora-Baltussen-Preis der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSV) erhalten, mit dem ausgezeichnete Abschlussarbeiten zum Thema Supervision und Coaching honoriert werden. Ihre Forschungsfragen sind: Wie kann Vielfalt in Unternehmen erhalten bleiben und welchen Beitrag leistet Coaching für eine Unternehmensveränderung in diesem Kontext?
Im theoretischen Teil erklärt Pöll zentrale Begriffe aus dem Diskurs über Diversity und diskutiert diese kritisch: Kultur, Multi-, Inter- und Transkulturalität, Inklusion und Integration. Das mag für Lesende, die sich erstmals mit dem Thema beschäftigen, Orientierung gebend sein. Nach einem rudimentären Überblick über die Migrationsgeschichte Deutschlands seit der Industrialisierung geht es um begriffsbestimmende Grundlagen des Diversity Managements (DiM), dessen Kerndimensionen und verschiedene Paradigmen bzw. Vorteile. DiM diene dazu, (1) in Unternehmen auf Basis gesetzlicher Regelungen Fairness und Chancengleichheit herzustellen, (2) Zugang zu weiteren und diversen Märkten und Kundengruppen zu erlangen und (3) organisationales Lernen zu fördern. Auch hier wird Bekanntes rezipiert. DiM wird der Personalwirtschaft zugeordnet, Führungskräfte gelten als Vorbilder und sollen interkulturelle Kompetenz entwickeln.
Die Autorin skizziert des Weiteren Konzepte interkultureller Kompetenz und beleuchtet sie kritisch. Unter Coaching versteht sie ein Personalentwicklungsinstrument für Führungs- und besondere Fachkräfte, dies gilt gleichermaßen für Coaching und interkulturelles Coaching. Von Coaches erwartet sie, mit Recht, ein kulturreflexives Vorgehen, dem ein dynamisches Kulturverständnis zugrunde liegen sollte. Kulturreflexives Coaching berücksichtigt hybride Identitäten, Diversität und Intersektionalität. Es hinterfragt Realitätskonstruktionen, dekonstruiert immanente Deutungsmuster und generiert neue Gestaltungsräume. „Ein kulturreflexiver Coach muss sich stets bewusstmachen, dass er die Welt durch die Brille seiner gesammelten kulturellen Erfahrungen wahrnimmt. Er muss Kenntnis über seine eigenen blinden Flecken haben.“ (S. 105) Für Coach wie Klient bzw. Klientin findet transformatives Lernen statt.
Die Unterschiede von inter-, multi- und transkulturellem Coaching werden gut herausgearbeitet und jeweils einigen Trainingsmethoden zugeordnet, wobei Pöll sich mit der Aufzählung der Methoden begnügt. Erklärungen dazu hätten den praktischen Nutzen der Arbeit erhöht.
Der empirische Teil stützt sich auf qualitative Interviews mit nur drei männlichen (weißen?) Funktionsträgern: dem CEO eines österreichischen Start-ups, der späteren Tochtergesellschaft eines großen Konzerns, einem Diversity Manager im Großkonzern und dessen freien Trainer. Insofern kann diese Arbeit nur einen Impuls für weitere Forschungen geben. Für diejenigen, die mit qualitativer Forschung nicht vertraut sind, liefert die kurze Einführung in die Methodik Interessantes. Im Anhang findet sich eine umfassende hundertseitige Dokumentation der Forschungsschritte.
Die Ergebnisse der Studie sind allerdings ernüchternd: Coaching wird als wichtig erachtet, aber nicht gezielt zur Implementierung von DiM eingesetzt. Die Interviewpartner heben die positiven Aspekte von Vielfalt zwar hervor, aber ihrer Meinung nach spielen kulturelle Aspekte im Coaching keine Rolle, anders als in entsprechenden Trainings. Aufgrund der Aktualität des Themas seien Forschende angeregt, hier weiterzudenken, und Coaches, eigene kulturelle und ethnozentristische Prägungen zu hinterfragen. Dies sollte sich meines Erachtens auch in einer inklusiven Sprache niederschlagen. Es erstaunt, dass diese hier ausgerechnet in einer Arbeit zum Diversity Management nicht zur Anwendung kommt.
Fazit: Eine gründliche Arbeit zum Einstieg in die Thematik für alle, die sich erstmals damit befassen.
Dr. Friederike Höher
www.friederike-hoeher.de