Cover: Wissen wir, was wir tun? Beraterisches Handeln in Supervision und Coaching.
Stefan Busse, Susanne Ehmer

Wissen wir, was wir tun? Beraterisches Handeln in Supervision und Coaching.

Rezension von Brigitte Scheidt

5 Min.

Der Titel in Verbindung mit dem Untertitel macht neugierig. Er scheint zur Reflexion der beraterischen Praxis einzuladen. Hat die Beratungsforschung neue Antworten zu den alten Fragen, was, wie in der Beratung wirkt? Diese Erwartung wird durch den Covertext unterstützt, wonach die Titelfrage, die "bange, irritierende Frage" ist, "die sich Supervisoren und Coaches eher heimlich und nur untereinander stellen (...)". Die Frage nach dem: "(…) was den Erfolg von Beratung ausmacht oder auch blockiert, wird in diesem Buch theoretisch beleuchtet und hinterfragt." Die Rezensentin, selbst gelernte Psychologin und Therapeutin, fühlt sich davon als eine reflektierende Praktikerin angesprochen und betrachtet also die Texte gerade auch aus der Sicht des Coachings. Die Kriterien für die Rezension orientieren sich daran, welche Relevanz das Buch für Coachs und Berater hat, die in der Arbeitswelt tätig sind, inwieweit es Coachs, die sich und ihre Arbeit reflektieren wollen, anregt und auch erreicht.
Gleich vorweg: Im Laufe des Lesens stellte sich der Rezensentin die Frage, wer als Adressat des Buches gedacht ist. Sind mit "Wir" im Titel und den Beiträgen die beratend Tätigen gemeint? Oder sprechen hier gelehrte Menschen, von denen die meisten vorwiegend theoretisch tätig sind, für die Beratungsszene allgemein? Aufgrund der stark wissenschaftstheoretisch-philosophischen Ausrichtung einzelner Beiträge, drängen sich Zweifel an der ersten Lesart auf.
Aus dem Vorwort der Herausgeber geht hervor, dass 2007 eine wissenschaftliche Tagung unter dem Titel "Wissen wir, was wir tun?" zum Thema "Rekonstruktion in der Supervision" stattgefunden hat. Dieser ansprechende Titel wurde übernommen und mit einem neuen Untertitel kombiniert. Es ist nicht davon auszugehen, dass jeder interessierte Leser über diese Tagung informiert ist. Weder Herausgeber noch Verlag bezeichnen jedoch bedauerlicherweise an eingängiger Stelle das vorliegende Buch als Tagungsband, was den Band eindeutig als wissenschaftlich orientierten Diskurs für Wissenschaftler und wissenschaftsinteressierte Praktiker ausgewiesen hätte.
Zum Buch selbst: Es handelt sich um einen Sammelband mit acht Beiträgen. Die Autoren kommen überwiegend aus dem universitären Bereich, alleine fünf davon haben eine Professur. Entsprechend ist der sprachliche Duktus einiger Beiträge eher wissenschaftlich geprägt. Hinter jedem Artikel folgt ein oft mehrseitiges Literaturverzeichnis.
Die Herausgeber stellen im Vorwort folgende Leitfragen: 1. "Wie kann man der Praxis respektive dem beraterischen Handeln analytisch weiter habhaft werden und was klärt das für die Praktiker auf?" 2. "Mit welchen genuinen Forschungsmethoden lässt sich beraterische Praxis respektive beraterisches Handeln beobachten beziehungsweise rekonstruieren, die wissenschaftlichen Ansprüchen und der Gegenstandslogik genügen?" 3. "Was wissen wir im Sinne von empirisch gesichertem Wissen dann wirklich mehr über das, was wir tun" (S. 10). Die letzte, ausgesprochen interessante Frage wird leider bereits im Vorwort zurückgestellt. Es seien vier Beiträge herausgegriffen, die eine Relevanz im Sinne von neu oder anregend für die beraterische Praxis auch aus Sicht des Coachings bieten.
Der Beitrag von Fritz Böhle "Erfahrungswissen und subjektivierendes Handeln - verborgene Seiten professionellen Handelns" erscheint der Rezensentin gerade im Hinblick auf das Coaching hilfreich. Aus ihrer Erfahrung herrscht dort oft noch das Missverständnis, dass es um das Erlernen von Techniken, um Tools gehe. Anschaulich zeigt der Autor, dass professionelles Wissen nicht nur rationales, kognitiv gesteuertes Verhalten bedeutet, sondern dass Professionalität häufig auch die Zusammenführung von diesem mit subjektiviertem, handlungsanleitendem Erfahrungswissen erfordert. Folgerichtig sind eben auch, sinnliche, körperliche Wahrnehmung von Gefühlen, Empfinden und Erleben einzubeziehen. Böhle zeigt unter anderem an Beispielen aus der Technik, dass dieses Erfahrungswissen gerade dann gefragt ist, wenn es problematisch wird, wenn es um Ungewohntes, um Unwägbarkeiten geht. "Der Motor klingt anders": In kritischen Situationen ist es geradezu entscheidend, das Andere, das Fehlende durch die über die Erfahrung entstandene Intuition wahrzunehmen. Sicherlich wissen viele langjährig in der Praxis Tätige um diesen Faktor (sechster Sinn) und gleichzeitig ist der Artikel eine Ermutigung für alle, denen es nicht nur um Tools geht.
Thomas Binder stellt mit seinem Aufsatz: "Wie gut verstehen Berater ihre Kunden? Ich-Entwicklung, ein vergessener Faktor in der Beratung", einen bisher in Deutschland kaum bekannten Ansatz vor. Das Modell basiert auf Ergebnissen und Theorien der Entwicklungspsychologen Jean Piaget und Jane Lövinger. Menschen können sich danach im Laufe ihres Lebens qualitativ weiterentwickeln. Diese Entwicklung erfolgt in Stufen, die dem Betreffenden jeweils unterschiedliche Blicke auf sich und die Welt ermöglichen. Entwicklung wird hier als persönliche Reifung verstanden, die nicht kognitiv zu steuern ist. Spannend wird dieses Konzept durch den postulierten Zusammenhang, dass die Beratungsqualität maßgeblich durch die jeweilige Entwicklungsstufe des Beraters bestimmt wird; und diese, wie auch der Beratungserfolg, auch abhängig sind von der Relation, in der die Entwicklungsstufe des Beraters zu der des Beratenen steht. Das gestattet einen neuen Blick auf die Auswahl von Beratern und auf die Anforderungen, die an einen guten Berater, eine gute Beraterin, zu stellen sind.
Zwei weitere Aufsätze befassen sich auf unterschiedliche Art und Weise mit der "Rekonstruktion" von Beratung. Dirk Bayas-Linke stellt ausführlich und klar die Methodologie der Videointeraktionsanalyse und ihre Möglichkeiten in seinem Beitrag dar. Heidi Möllers Beitrag ist ein gut strukturiertes Plädoyer für die Nutzung von Bandaufnahmen in Form einer angeleiteten Selbstkonfrontation. Die Arbeitsweise wird anschaulich dargestellt. Beide Methoden sind nicht wirklich neu, geben jedoch Anregungen, die auch für die weitere Professionalisierung von Coaching und Coaching-Ausbildungen wichtig sein können.
Im Fazit ist der Band im Grunde genommen ein Tagungsband, erweitert um den Beitrag von Thomas Binder. Der Anspruch, dass hier für den Praktiker die im Vorwort aufgeworfenen Leitfragen oder die Fragen des Covertextes beantwortet werden, wird nur sehr eingeschränkt eingelöst. Wissenschaftstheoretisch Interessierte werden eher auf ihre Kosten kommen.

Brigitte Scheidt

Neue Wege im Berufsleben, Berlin
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