Es ist kein Geheimnis, dass die Coaching-Branche mit negativen Begleiterscheinungen und der Tatsache zu kämpfen hat, dass auch undurchsichtige Angebote auf dem Markt existieren. Hierzu trägt auch der Umstand bei, dass die Berufsbezeichnung „Coach“ nicht geschützt ist. Unternehmen mit größerem Coaching-Bedarf haben hierauf längst reagiert und internes Coaching-Know-how sowie eigene Coaching-Pools aufgebaut. Ein „Scharlatanerie-Problem“ konnte so deutlich abgemildert werden.
Die Frage, wie es um die Professionalisierung im Coaching heute bestellt ist, bleibt dennoch vielschichtig. Der Blick in die nachfolgend beschriebenen Teilfelder, die im Kontext der Qualitätssicherung zu betrachten sind, ermöglicht jedoch, sich einen näheren Eindruck zu verschaffen und Verbesserungspotenziale ausfindig zu machen. Die Ergebnisse offenbaren Licht und Schatten.
Diese Frage sollte sich grundsätzlich jeder Coach stellen, da sie hinsichtlich seiner/ihrer Positionierung im Markt wichtig ist. Zugleich kann die Frage aber auch als ein Gradmesser der Professionalisierung im Coaching-Markt dienen: Wie professionell ist die Nachfrageseite des Marktes aufgestellt? Wie fundiert sind die Kriterien, nach denen Klienten und Auftraggeber Coaches auswählen? Im Rahmen der Coaching-Marktanalyse (Rauen, 2020) wurde dem nachgegangen:
Welche Gründe schätzen Coaches als ausschlaggebend für die Nachfrage ein? Es dominiert die Empfehlung durch eine gemeinsame bekannte Person. Dieser Faktor ist nach Ansicht der Befragten mit deutlichem Abstand am wichtigsten. Die Abbildung verstärkt dieses Bild und offenbart, dass dem Senioritätsprinzip eine nicht unwesentliche Rolle zuzuschreiben ist. Coaches werden überwiegend aufgrund von Empfehlungen und Erfahrung nachgefragt. Professionelle Standards wie eine Coaching-Ausbildung oder eine Mitgliedschaft in bzw. Zertifizierung durch einen Verband werden als weniger wichtig betrachtet. Dies deute, so Rauen, auf einen mangelnden Transparenz- und Professionalisierungsgrad der Branche hin.
Kanning und Finke (2019) befragten im Rahmen einer Studie insgesamt 257 Personen, die in Unternehmen als Entscheidungsträger fungieren. Diese gaben Auskunft darüber, anhand welcher Faktoren sie Coaches auswählen. Im Ergebnis zeichnen Kanning und Finke ebenfalls ein kritisches Bild, indem sie betonen, dass „Image und Erfahrung“, wobei es sich nicht zwingend um Coaching-Erfahrung handeln müsse, von größerer Bedeutung seien als eine fundierte Coaching-Ausbildung. Letztere wirke sich zwar vorteilhaft aus, stelle aber „kein zwingendes Kriterium“ dar. Größere Unternehmen seien dabei zwar kritischer als kleinere. Dennoch sei es bislang „noch nicht flächendeckend gelungen, in den Unternehmen eine Coaching-Konzeption zu etablieren, die primär auf einer fachlich-methodischen Expertise basiert“, resümieren die Studienautoren.
Weshalb ist es kritisch zu sehen, dass dem Senioritätsprinzip – bestehend aus Empfehlungen und Erfahrung – bzw. dem Image eines Coachs von der Nachfrageseite derart zentrale Bedeutung beigemessen wird, während etwa eine Coaching-Ausbildung hintansteht? Diller et al. (2020) untersuchten, wie die Qualifikation (Coaching-Ausbildung) und die Coaching-Erfahrung, die Coaches mitbringen, mit der Qualität und Qualitätskontrolle ihrer Coachings zusammenhängen. Befragt wurden Personalmanager. Den Ergebnissen folgend sind sowohl eine bessere Coaching-Qualität als auch mehr Qualitätskontrolle bei fundiert ausgebildeten Coaches zu beobachten. Mehr Coaching-Erfahrung führt hingegen nicht zu mehr wahrgenommener Coaching-Qualität. Letzteres gilt, wie die Wissenschaftler ebenfalls herausfanden, auch hinsichtlich Referenzen.
Um ein vollständiges Bild zu erlangen, ist relativierend anzumerken: Rauen (2020) befragte die teilnehmenden Coaches nicht nur nach den Gründen, die letztlich zur Beauftragung führen. Sie wurden zudem danach gefragt, welche Faktoren zu einer allgemeinen positiven Wahrnehmung im Markt führen. Hier zeigt sich, dass eine Coaching-Ausbildung doch von einer gewissen Bedeutung ist, wenngleich sie wiederum auch hier als weniger wichtig eingestuft wird als das Senioritätsprinzip. Nach den Faktoren „Persönliche Empfehlung durch Dritte“, „Berufserfahrung“ und „Referenzen“ nimmt die Coaching-Ausbildung immerhin den vierten Platz ein. Sie könnte somit, wie der Studienautor schlussfolgert, einen „Hygienefaktor“ darstellen, der wichtig ist, um es als Coach überhaupt in die engere Auswahl der Auftraggeber zu schaffen.
Angesichts der wichtigen Rolle, die eine gute Qualifikation nach Diller et al. (2020) im Coaching spielt, ist es darüber hinaus zu begrüßen, dass Coaches nach Rauen (2020) „außerordentlich fortbildungsaffin“ sind und sich nicht nur anhand kurzer Seminare weiterbilden, sondern umfangreiche Fortbildungen absolvieren. Wie bereits im Punkt „Die Coaches – Charakteristika“ beschrieben wurde, hat eine deutliche Mehrheit der Coaches, die sich an der Befragung beteiligten, darüber hinaus eine Coaching-Ausbildung durchlaufen.
Evaluation ist ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung im Coaching. Wie gehen Coaches dabei methodisch vor? Zwei Drittel der Coaches, die im Rahmen der Coaching-Marktanalyse (Rauen, 2020) befragt wurden, evaluieren ihre Coaching-Prozesse anhand von Abschlussgesprächen mit dem Klienten bzw. mit dem Klienten und dem Auftraggeber. Generell scheint die Evaluation von Coachings überwiegend mündlich zu erfolgen. Eigene und fremde Evaluationsbögen oder strukturierte Verfahren werden vergleichsweise wenig eingesetzt. Die Coaches nutzen jedoch Supervision und Intervision, um die Qualität ihrer Prozesse zu sichern.
Inhaltlich richten die von Rauen (2020) befragten Coaches ihre Evaluationsmaßnahmen vor allem auf die Zielerreichung aus (93 Prozent). Auch der Coaching-Prozess (85 Prozent) und die generellen Veränderungen durch das Coaching (84 Prozent) sind häufig Gegenstand der Evaluation. Die im Coaching äußerst wichtige Arbeitsbeziehung zwischen Klient und Coach fließt in der Mehrzahl der Fälle ebenfalls ein. Mit einem Wert von 60 Prozent fällt sie gegenüber den zuvor genannten Faktoren aber dennoch ab. Die Rahmenbedingungen, unter denen das Coaching stattfand, werden in der Mehrheit der Fälle nicht evaluiert.
Im Gesamtbild hält der Studienautor fest (Rauen, 2020), dass eine systematischere Evaluation zur Erhöhung der Coaching-Qualität im Interesse der Auftraggeber und der Coaches läge.
Wie bereits erwähnt, ist der Coaching-Begriff nicht geschützt. Eine mögliche staatliche Regulierung des Begriffs bzw. der Profession wird in der Coaching-Branche kritisch gesehen. Im Rahmen der 15. Coaching-Umfrage Deutschland (Middendorf, 2017) wünschte sich nur eine Minderheit der befragten Coaches hinsichtlich der Regulierung des Coachings eine impulsgebende Rolle des Gesetzgebers. Wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung des Coachings als Profession ohnehin nur von knapp der Hälfte der Coaches, die zu dieser Frage Auskunft gaben, deutlich befürwortet wurde, bleibt festzuhalten: Eine stärkere Regulierung durch Coaching-Verbände erhielt mehr Zuspruch. Die Branche scheint somit die Selbstregulierung zu bevorzugen.
Qualitätskriterien
Professionalisierungsbestrebungen sind in der Verbandslandschaft deutlich erkennbar. Verbände etablieren – teils umfangreiche – Qualitätskriterien, die ihre Mitglieder erfüllen müssen. Beispielhaft kann der Deutsche Bundesverband Coaching e.V. (DBVC) angeführt werden. 2019 veröffentlichte der DBVC die fünfte, aktualisierte Auflage seines Kompendiums „Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung von Coaching als Profession“, dessen Inhalte verbindliche Professionsstandards für DBVC-Mitglieder darstellen. Das Kompendium kann auf der Webseite des DBVC kostenfrei heruntergeladen werden.
Auch die Stiftung Warentest erkannte die Bedeutung der Verbände für die Professionalisierung der Branche und führte in ihrem 2014 veröffentlichten Spezial „Den richtigen Coach finden“ aus, dass Coaching-Verbände aufgrund ihrer Qualitäts- und Aufnahmekriterien Orientierung im Markt bieten können. Die Stiftung kritisierte zugleich, dass in der Verbandslandschaft, die sich aus zahlreichen Verbänden zusammensetzt, keine einheitlichen Qualitätskriterien bestehen.
Bestrebungen, zu einheitlichen Qualitätskriterien zu finden, mündeten 2015 in einem Positionspapier des Roundtables der Coachingverbände (RTC), eine Interessengemeinschaft, in der zeitweise 17 im deutschsprachigen Raum aktive Coaching-Verbände mitarbeiteten. Die beteiligten Verbände einigten sich auf gemeinsame Grundpositionen, die u.a. ethische Grundsätze und Werthaltungen, Umfang und Dauer von Coaching-Ausbildungen sowie die Konstitution von Coaching-Verbänden betreffen. Aus dem Roundtable der Coachingverbände ist am 30.03.2020 der Dachverband Roundtable Coaching e.V. hervorgegangen. Nicht alle im RTC engagierten Verbände sind diesen Schritt mitgegangen. Derzeit sind fünf Verbände im Roundtable Coaching e.V. organisiert.
Aufgrund der Vielzahl von Akteuren kann durchaus von einer „Zersplitterung“ der Verbandslandschaft gesprochen werden, die einen transparenten Blick auf den Markt erschwert. Zu bedenken ist hingegen, dass die Zahl der relevanten deutschen Coaching-Verbände bei näherer Betrachtung nicht so groß ausfällt, wie oftmals dargestellt. Zwar gibt es viele Verbände und Organisationen (vgl. Übersicht der Coaching-Verbände), doch haben nicht alle signifikante Mitgliederzahlen vorzuweisen. Darüber hinaus gibt es „Marketing-Zirkel“, die oftmals mit Verbänden gleichgesetzt werden, obwohl es sich um Initiativen handelt, die eher Vermarktungssynergien schaffen sollen.
Neben „originären“ Coaching-Verbänden, die sich ausschließlich der Coaching-Profession widmen, bestehen zahlreiche Mischverbände, die sich zwar u.a. mit Coaching befassen, aber stark auf Training, Verkauf, Beratung, Therapie usw. fokussiert sind. Zum Teil ist darin eine Nachwirkung des Umstandes zu sehen, dass Coaching oft nicht klar genug definiert und von anderen Disziplinen unterschieden wurde bzw. wird.